Erdogans Eskalation im Südkaukasus verurteilen
In Berg-Karabach spitzt sich die Lage der Zivilbevölkerung angesichts der anhaltenden Angriffe Aserbaidschans mit der Unterstützung der Türkei und islamistischer Söldner dramatisch zu. Amnesty International bestätigt den Einsatz von Streubomben gegen die Zivilbevölkerung, Behördenvertreter vor Ort berichten, rund die Hälfte der Bevölkerung sei mittlerweile auf der Flucht vor den Kämpfen, darunter etwa 90 Prozent aller Frauen und Kinder. Insgesamt rund 70.000 bis 75.000 Menschen sind demnach betroffen. Die Bundesregierung will die Waffenhilfe der Türkei für die Autokraten-Familie Alijew dennoch nicht verurteilen, wie Bundesaußenminister Heiko Maas auf meine Nachfrage im Bundestag ausdrücklich bekräftigt hat. Das ist verantwortungslos und befeuert die weitere Eskalation im Südkaukasus, ganz sicher trägt es nicht zur Vermittlung einer Konfliktlösung bei.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Maas, laut USA und Frankreich hat Aserbaidschan mit der Unterstützung der Türkei, aber auch mit Unterstützung islamistischer Söldner die Angriffe in Bergkarabach jetzt verstärkt.
Aserbaidschans Verteidigungsministerium berichtet heute von Gefechten entlang der gesamten Front und dem Beschuss von Dörfern und Städten. Behördenvertreter in Bergkarabach berichten, rund die Hälfte der Bevölkerung sei mittlerweile auf der Flucht vor den Kämpfen, darunter etwa 90 Prozent aller Frauen und Kinder. Insgesamt rund 70 000 bis 75 000 Menschen sind demnach betroffen. Amnesty International bestätigt jetzt Berichte, dass Aserbaidschan Streumunition gegen die Zivilbevölkerung in Bergkarabach eingesetzt hat.
Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass ein Land wie die Türkei, das sich für den Fortgang des Krieges in Bergkarabach einsetzt – der Präsident selbst ruft zum weiteren Krieg auf –, nicht gleichzeitig glaubwürdiger Vermittler in der Minsk-Gruppe zur Lösung dieses Konfliktes mehr sein kann?
Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen:
Frau Dağdelen, die Türkei selbst empfindet die MinskGruppe als kein geeignetes Format, um diesen Konflikt aufzulösen; das hat mir der Kollege in einem Telefonat gesagt. Deshalb wird möglicherweise auch unter dem Dach der OSZE, aber auch möglicherweise in anderen Formaten im Moment fieberhaft überlegt, mit welchen Parteien, die für die Auflösung dieses Konfliktes nötig wären, sich zusammenzusetzen sinnvoll wäre. Vor allen Dingen gilt es, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Insofern ist im Moment das Minsk-Format gar nicht das Format, über das ernsthaft gesprochen wird. Im Moment wird zunächst einmal auf die Länder eingeredet, die großen Einfluss in den beiden Ländern haben. Das ist ein Diskussionsprozess, der nicht abgeschlossen ist. Insofern erübrigt sich, glaube ich, Ihre Frage, weil die Türkei selber das Minsk-Format nicht als das geeignete Gremium empfindet, hier eine vermittelnde Rolle einzunehmen.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Danke sehr. – Herr Minister Maas, der Deutsche Bundestag hat im Juni 2016 in einem Antrag zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern beschlossen – ich zitiere –: Eine Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zwischen der Republik Türkei und der Republik Armenien ist auch für die Stabilisierung der Region des Kaukasus wichtig.
Insofern würde ich schon gerne wissen: Wie bewerten Sie die Rolle Deutschlands, auch im Hinblick auf die historische Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern, angesichts dessen, dass jetzt Armenier, Kurden, Aleviten aus der Region vertrieben werden? Denken Sie, dass die von der Bundesregierung zugesagten Vergünstigungen bei der Erweiterung der Zollunion und Erleichterungen im Handel mit der Türkei tatsächlich zur Entspannung und zur Verbesserung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien beitragen könnten?
Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen:
Also, grundsätzlich bin ich für alles, was zur Entspannung von Beziehungen beiträgt, auch zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Ob die Punkte, die Sie angesprochen haben, dazu geeignet sind, sei einmal dahingestellt.
Aber grundsätzlich hat auch die Europäische Union ein Interesse daran, dass es eine vernünftige Partnerschaft mit der Türkei gibt. Es ist Ihnen aber sicherlich nicht unverborgen geblieben – auch aufgrund des aktuell vorliegenden Berichts der Kommission ist sehr, sehr klar und öffentlich darauf hingewiesen worden –, dass die Entwicklungen in der Türkei etwa auch mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit keine sind, die auch nur im Ansatz dem entsprechen, was wir innerhalb der Europäischen Union unter Rechtsstaatlichkeit empfinden. Insofern werden wir uns weiterhin darum bemühen, vernünftige Beziehungen zur Türkei zu haben. Geografie lässt sich nicht ändern; die Türkei trennt die Europäische Union vom Iran, von Syrien, vom Irak. Insofern gibt es ein grundsätzliches Interesse.
Das ist aber kein Interesse, das darauf hinausläuft, dass man alles, was in der Türkei geschieht, billigt oder billigend in Kauf nimmt, nur um gute Beziehungen zu haben. Ich glaube, die Tatsache, dass die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei so angespannt sind, hat auch etwas damit zu tun, dass das innerhalb der Europäischen Union sehr, sehr klar und deutlich angemahnt wurde.