Änderung der Regelung zur Niederlassungserlaubnis für anerkannte Flüchtlinge
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Welche konkreten negativen Erfahrungen liegen dem Bundesministerium des Innern vor zu der Regelung, dass anerkannte Flüchtlinge drei Jahre nach ihrer Anerkennung eine Niederlassungserlaubnis erhalten, wenn ihre Schutzbedürftigkeit fortbesteht, weil der Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière vorgeschlagen hat, diese Regelung zu ändern, und inwieweit unterscheidet sich die Situation noch erwerbsloser anerkannter Flüchtlinge in Hinblick auf die Aufgabe ihrer Integration substanziell von der Situation anderer noch erwerbsloser Drittstaatsangehöriger, die einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus zum Beispiel im Rahmen der Familienzusammenführung erhalten haben, vor dem Hintergrund, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 1. März 2016 in der Rechtssache C-443/14 und C-444/14 nur dann eine Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge zulässig wäre (bitte ausführen)?
Es geht um die Änderung der Regelung zur Niederlassungserlaubnis für anerkannte Flüchtlinge. – Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Asyl- und Flüchtlingsschutz ist auf die Gewährung von Schutz vor Verfolgung im Herkunftsland angelegt. Anerkannte Schutzberechtigte erhalten deshalb zunächst ein befristetes, verlängerbares Aufenthaltsrecht in Deutschland. Dieses kann widerrufen werden.
Das deutsche Aufenthaltsrecht enthält in § 26 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes eine Privilegierung für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge. Sie erhalten nach drei Jahren ein Daueraufenthaltsrecht und damit eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Eine solche Privilegierung ist europarechtlich allerdings nicht geboten. Im Gegensatz zu anderen legal hier aufhältigen Ausländern wird anerkannten Flüchtlingen unter erleichterten Voraussetzungen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht gewährt. Es genügt erstens, dass die Voraussetzung für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Anerkennung nicht vorliegt. Außerdem ist es zweitens nicht notwendig, dass die bei anderen Drittstaatsangehörigen erforderlichen Integrationsleistungen gegeben sind. Der in seinem Ausmaß singuläre Zustrom von Schutzsuchenden seit Mitte des vergangenen Jahres erfordert eine Überprüfung dieser Regelung. Hierdurch können integrationsfördernde Impulse gesetzt werden.
In seiner Entscheidung vom 1. März 2016 hat der Europäische Gerichtshof die grundsätzliche Zulässigkeit von Wohnsitzauflagen für anerkannte Schutzberechtigte aus integrationspolitischen Gründen ausdrücklich bestätigt. Der Gerichtshof hat sich auch mit der nach Artikel 33 EU-Qualifikationsrichtlinie erforderlichen Gleichbehandlung mit anderen Drittstaatsangehörigen auseinandergesetzt. Mit Blick auf das Ziel einer Erleichterung der Integration hat der Gerichtshof die Unterschiede zwischen beiden Gruppen deutlich herausgestellt.
Bereits hinreichend integrierte Drittstaatsangehörige befinden sich nicht in einer Situation, die vergleichbar ist mit der von Personen mit internationalem Schutzstatus. Letztere sind in stärkerem Maße mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Gesetzesentwurf, der dem Gleichbehandlungserfordernis gerecht werden wird.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Herr Schröder, das, was Sie hier vorgelesen haben, bekommen wir ja noch schriftlich; das ist ganz gut. Ich habe eine Nachfrage: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es falsch war, in den letzten Jahren und nach jahrelangen Diskussionen mit Expertinnen und Experten und unterschiedlichsten Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertretern davon auszugehen, dass es sinnvoll ist, anerkannten Flüchtlingen keine Residenzpflicht mehr vorzuschreiben, und zwar aufgrund dessen, dass eine Residenzpflicht die Integration eher hemmt?
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Ich habe eben von einer Wohnsitzauflage gesprochen. Das ist etwas anderes als die Residenzpflicht. Unter der Residenzpflicht verstehen wir die Verpflichtung, sich insbesondere während des Asylverfahrens in einem bestimmten Gebiet aufzuhalten. Bei der Wohnsitzzuweisung sprechen wir davon, dass einem anerkannten Flüchtling nach einem abgeschlossenen Asylverfahren ein bestimmter Wohnort zugewiesen wird. Wir sehen das als notwendig an, um Parallelgesellschaften zu verhindern.
Wir haben jetzt die Situation, dass im letzten Jahr über 1 Million Menschen zu uns gekommen sind. Deshalb ist es noch entscheidender, dass die Integrationsleistungen nicht nur von den Metropolregionen erbracht werden, sondern vom gesamten Land, um die Integration so am Ende zu einem Erfolg zu führen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Es freut mich, dass die Bundesregierung immer irgendwelche Parallelgesellschaften verhindern möchte. Dann könnte sie unter dem Stichwort „Panama Papers“ damit anfangen und dort ansetzen, um diese Parallelgesellschaft einmal anzugehen. Das wäre meiner Meinung nach ein großer Anfang.
Sie haben von Parallelgesellschaften bei Flüchtlingen oder Migrantinnen oder Migranten gesprochen: Wird die Bundesregierung Voraussetzungen dafür schaffen, um diese zu vermeiden? Es gibt ein größeres Interesse daran, in die großen Städte zu ziehen statt aufs Land. Werden Sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen auch dort leben können, ohne dass es zu vermeintlichen Parallelgesellschaften kommen kann? Stichworte sind: Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze, Infrastruktur, Wohnungen, flächendeckender bezahlbarer Wohnraum für viele? Welche Ansätze verfolgt die Bundesregierung hier?
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Selbstverständlich ist es gerade im ländlichen Raum möglich, sich gut zu integrieren. Ich glaube, dass Sie den ländlichen Raum, was die Möglichkeiten der Ausbildung und der Arbeitsplätze angeht, unterschätzen. Die meisten freien Ausbildungsplätze für Jugendliche in Norddeutschland finden wir nicht in den Metropolregionen, sondern beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern.