Mündliche Frage PlPr 17/77: Analyse im BMI zu etwaigen Vollzugsdefiziten betreffend die Verpflichtung zur Teilnahme an Integrationskursen

Wie ist der Widerspruch zu erklären, dass der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, am 27. Oktober 2010 sagte (Plenarprotokoll 17/67, Seite 7106), dass es im Zusammenhang der Frage, ob Personen einer Verpflichtung zum Integrationskurs nachkommen, „offensichtlich ein Vollzugs defizit" gebe, während der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner nur wenig später ausführte (am angegebenen Ort, Seite 7122), dass es noch einer eingehenderen Analyse bedürfe, inwieweit überhaupt „ausländerbehördliche Vollzugsdefizite" vorlägen, und wie ist inzwischen der aktuelle Stand der diesbezüglichen Analyse des Bundesministeriums des Innern?

Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Frau Kollegin Dagdelen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Zwischen den beiden von Ihnen zitierten Äußerungen besteht kein Widerspruch. In meiner Antwort auf Ihre Frage 12 in der Fragestunde am 27. Oktober 2010 habe ich nicht verneint, dass es ein Vollzugsdefizit gibt; Sie werden sich vielleicht daran erinnern. Ich habe durch meine Formulierung darauf hingewiesen, dass derzeit noch offen ist, inwieweit es ein Vollzugsdefizit gibt und inwieweit es für die Nichtteilnahme eines verpflichtenden Integrationskurses nachvollziehbare rechtliche oder praktische Gründe gibt. Hierauf hat auch der Bundesminister des Innern in seiner Stellungnahme hingewiesen.

Die in Ihrer Frage angesprochenen Ergebnisse der Länderumfrage über solche Defizite liegen mittlerweile vollständig vor. Aus ihnen lässt sich bereits jetzt ableiten, dass es Defizite bei der Anwendung der gesetzlichen Sanktionsinstrumente gibt. Die Umfrageergebnisse wird der Bundesminister des Innern im Rahmen der Innenministerkonferenz mit seinen Länderkollegen besprechen. Im Anschluss daran wird eine abschließende Bewertung der Ergebnisse erfolgen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Staatsekretär. – Meine Frage zielt vor allen Dingen darauf ab, weshalb seitens des Bundesinnenministers und des Bundesinnenministeriums in den letzten Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wurde, es gäbe eine Integrationskursverweigerung in einem nennenswerten Umfang, aufgrund derer es Gesetzesverschärfungen und noch stärkere Sanktionen bzw. eine Prüfung der Sanktionen
gegenüber Migrantinnen und Migranten geben müsste, obwohl offenkundig ist, dass es keine entsprechenden Zahlen gibt. Das haben in den letzten Wochen sehr viele Zeitungen deutlich gemacht.

Staatssekretär Dr. Ole Schröder beantwortete am 3. November dieses Jahres schriftlich bisher unbeantwortet gebliebene mündliche Fragen von mir. Demnach haben immerhin fünf Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, erklärt, dass von aufenthaltsrechtlichen Sanktionen deshalb kein Gebrauch gemacht wurde, weil es im Zusammenhang mit der Integrationskursteilnahme kein vorwerfbares Verweigerungsverhalten in nennenswertem Umfang gibt.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das hat Ole Schröder freiwillig zugegeben?)

Ich nehme an, dass Ihnen die Zahlen aus den Ländern bekannt sind und Sie wissen, dass sich die anderen Länder nicht klar geäußert haben. Deshalb lautet meine Frage: Wie viele bzw. welche Bundesländer haben dem Bundesinnenministerium mitgeteilt, dass sie in nennenswertem Umfang Erkenntnisse über ein vorwerfbares Verweigerungsverhalten im Zusammenhang mit der Integrationskursteilnahme haben?

Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Frau Kollegin, ich möchte zunächst einmal begründen, warum unser Haus eine solche Verweigerungshaltung zumindest für überprüfungswürdig hält. Auf der einen Seite nehmen 20 Prozent der zur Teilnahme Verpflichteten nicht an einem Integrationskurs teil; das ist eine Angabe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Auf der anderen Seite gibt es eine relativ geringe Zahl von Sanktionen. Durch eine Befragung der Länder wollten wir die
Gründe für diese Diskrepanz herausfinden.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eher ein Zeichen für die schlechte Kinderbetreuung, die Frau Schröder zu verantworten hat!)

Ich bitte um Verständnis, dass ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt, bevor der Minister die Umfrageergebnisse gemeinsam mit seinen Kollegen aus den Ländern ausgewertet und erörtert hat, nicht zu Ihrer Frage Stellung nehmen möchte. Dies ist ein Verfahrenserfordernis, das ich einzuhalten gedenke. Man muss zunächst einmal mit den Ländern sprechen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Ja, Frau Präsidentin. – Wenn Sie die Beteiligung der Bundesländer abwarten wollen, ist das ganz in meinem Sinne, Herr Staatssekretär, auch wenn wir Sie bereits vor Monaten gepiesackt und von Ihnen gefordert haben, eine Länderabfrage durchzuführen. Da dem Bundesinnenministerium aber seit über einer Woche die Stellungnahmen aller Bundesländer zur Sanktionspraxis bei Integrationsverweigerung vorliegen, möchte ich Sie gerne fragen, wann mir diese Auskünfte und Daten, so lückenhaft sie auch erscheinen mögen, entsprechend meiner parlamentarischen Initiative und meiner parlamentarischen Rechte endlich zur Verfügung gestellt werden. Ich habe diese Auskünfte in der Kleinen Anfrage auf Drucksache 17/3147 erbeten und der Bundesregierung für die Beantwortung meiner Fragen ausdrücklich eine Fristverlängerung eingeräumt. Die Bundesregierung hat mir die entsprechenden Informationen aber nicht zur Verfügung gestellt.

Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis – ich kann das gerne nachreichen –, dass ich den Zeitpunkt, wann der Minister diesen Tagesordnungspunkt mit den Innenministern der Länder erörtern wird – ich vermute, dies wird im Rahmen der Innenministerkonferenz geschehen –, nicht nennen kann.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie die Zahlen haben, können Sie sie ihr doch geben! Sie müssen doch nicht bis zur Innenministerkonferenz warten! Was ist denn das für ein Verständnis von den Rechten des Parlaments?)

Ich denke, im Anschluss daran haben wir eine hinreichend gute Grundlage, um Ihrem Auskunftsbedürfnis nachzukommen.