Angemessener denn je: Kein Blut für Öl!
Bereits am 20. Februar, fünf Tage nach den ersten größeren Demonstrationen in Libyen, kolportierten die Medien international erste Gerüchte, wonach Gaddafi ins Ausland geflohen sei und verbreiteten die Einschätzung, dass sich sein Regime nicht mehr lange werde halten können. Gleichzeitig begannen sich die Aufständischen unter Führung einiger übergelaufener Militärs und eilig aus dem Ausland eingereister Oppositioneller zu bewaffnen. Die Aussicht auf einen schnellen Sieg und sicherlich auch auf die anschließend zu verteilenden Reichtümer ermutigte viele, zu den Waffen zu greifen. Anders als gegenüber den früheren Machthabern und engen Verbündeten in Tunesien und Ägypten, forderten die westlichen Staaten sehr schnell einen Rücktritt Gaddafis und einigten sie sich auf Sanktionen. Am 26. Februar beschloss der UN-Sicherheitsrat, die Konten der Gaddafi-Regierung zu sperren und somit die Aufständischen – mittlerweile eindeutig Bürgerkriegspartei – bei der gewaltsamen Machtübernahme zu unterstützen. Keine drei Wochen später begannen Frankreich, Großbritannien und die USA – später mit weiteren Verbündeten unter der Führung der NATO – mit Luftangriffen auf Seiten der Aufständischen zu intervenieren, Kommandosoldaten, Ausbilder und Verbindungsoffiziere hatten sie schon zuvor nach Libyen eingeschleust.
Über sechs Monate tobt nun bereits ein handfester Krieg in Libyen, bei dem die NATO bis Ende September über 9.000 Luftschläge durchführte, um die Kämpfer am Boden zu unterstützen. Diese belagerten die einzunehmenden Städte teilweise wochenlang, schnitten sie von der Nahrungsmittel-, Wasser und Stromversorgung ab und ließen sie von der NATO bombardieren, bis sie einmarschierten. Ein vergleichbares Szenario mit den Gaddafi-Truppen als Angreifern, das so allerdings niemals eintrat, wurde im März als vermeintliche Legitimation der NATO-Intervention heraufbeschworen. Jeder Geländegewinn der NATO und der Aufständischen wurde als entscheidende Schlacht dargestellt und galt weiteren Staaten als Anlass, statt der bisherigen Regierung nun den in keiner Weise – außer durch bloße Waffengewalt – legitimierten »Nationalen Übergangsrat« anzuerkennen.
V.a. in Europa war der Protest gegen diese Intervention verhalten, obgleich sie eine völlig neue Phase des Imperialismus einläutete und einen neuen Typ des Kolonialkrieges darstellt. In Deutschland und Europa war der Aufschrei »Kein Blut für Öl« kaum zu vernehmen, obwohl er selten so zutreffend gewesen war. Die deutsche Friedensbewegung schien in Bezug auf den Libyenkrieg wie gelähmt. Neben der massiven medialen Propaganda und der falschen Logik, wonach alle, welche die NATO-Intervention kritisierten, automatisch als Befürworter Gaddafis und damit auch der schweren Menschenrechtsverletzungen, für die er zu Recht und zu Unrecht verantwortlich gemacht wurde, angegriffen wurden, trug hierzu sicherlich auch die Enthaltung Westerwelles im UN-Sicherheitsrat bei. Von Grün bis Schwarz wurde er hierfür scharf angegriffen, so genannte Friedensforscher kritisierten ihn, er hätte hiermit Deutschland »isoliert« und selbst in der Linken und der Friedensbewegung gab es viele, die den NATO-Angriff v.a. am Anfang, als er noch im Deckmäntelchen einer »Flugverbotszone« daherkam, nicht klar ablehnen wollten.
Ende September ist Gaddafi immer noch nicht gefasst, seine Anhänger leisten in einigen Städten erbitterten Widerstand oder organisieren diesen aus dem Ausland heraus, es kam bereits zu grenzüberschreitenden Gefechten an den tunesischen und algerischen Grenzen. Der Übergangsrat ist dabei, in verschiedene Fraktionen zu zerfallen und der Bürgerkrieg droht, den gesamten Sahel zu erfassen. Doch das Öl fließt wieder und der anhaltende Bürgerkrieg wird bald als Anlass dienen, Truppen an die Ölhäfen und Pipeleines zu entsenden. Deutschland will beim so genannten »Wiederaufbau« eine führende Rolle einnehmen. Dies gilt es zu verhindern. Und wir müssen die Lügen und die Propaganda aufarbeiten, mit denen dieser Krieg führbar gemacht wurde. Damit Libyen nicht den Auftakt bildet für weitere Kriege gegen Regierunge und Völker, die sich den Regeln der NATO nicht unterwerfen wollen; Damit die Friedensbewegung und DIE LINKE wieder handlungsfähig ist, wenn der nächste Krieg vorbereitet wird.
Sevim Dagdelen
Erschienen im STANDPUNKT Ausgabe 48 (Der STANDPUNKT ist die Publikation des Kreisverbandes DIE LINKE Duisburg. Er erscheint 4 mal jährlich.)