Antwortbrief an Gregor Gysi
22. September 2014
Lieber Gregor,
da ich in den nächsten Tagen mein zweites Kind erwarte und aufgrund der etwas komplizierteren Schwangerschaft viele medizinische Termine zu erledigen hatte, komme ich jetzt erst zur Beantwortung Deines Briefes. Ich hoffe Du hast Verständnis dafür, obwohl ich auch lange überlegen musste, ob Du tatsächlich eine Antwort auf Deinen quasi offenen Brief an mich erwartest. Denn zwar ging Dein Brief am Donnerstagmittag, den 11. September persönlich an mich adressiert in meinem Büro ein. Keine 24 Stunden später und sogar bevor ich selbst den Brief hatte zur Kenntnis nehmen können, fragte jedoch ein Journalist der Süddeutschen Zeitung in meinem Büro, ob ich zu Passagen aus Deinem Brief, der ihm offensichtlich vorlag, Stellung nehmen möchte. Ich frage mich natürlich, wie es zu dieser groben Indiskretion kommen konnte. Aus dem Artikel in der Süddeutschen, der auf Grundlage Deines Briefes versucht meine Person als eine „Drama-Queen" zu denunzieren, geht deutlich hervor, dass ich Deinen Brief nicht weitergegeben habe. Es gibt daher nur eine Erklärung für mich: entweder hast Du den selbst an den Journalisten der Süddeutschen weitergegeben, was ich aber bezweifle, oder Du hast den Brief an Dritte weitergegeben, die ihn dann der Presse zugespielt haben. Dafür habe ich kein Verständnis. Es entsteht der Eindruck, dass es nicht um die Inhalte geht, sondern allein um die Bloßstellung meiner Person.
Zunächst einmal zu einer angeblichen Kritik von mir an Dir und den beiden Parteivorsitzenden in meiner Rede. Diese kann ich nicht erkennen. In der Rede heißt es: „Ich hatte die Grünen für die Verharmlosung der Beteiligung von Faschisten an der ukrainischen Regierung, deren erste Amtshandlung ein Gesetzesentwurf zur Diskriminierung der russischen Sprache war und die jetzt auf ein Verbot der Kommunistischen Partei hinarbeitet, scharf kritisiert. Und ich stehe dazu, trotz aller Distanzierungen von Gregor Gysi und den beiden Parteivorsitzenden der Linken." Eure Distanzierung zu erwähnen, die ihr ja öffentlich gemacht habt, war ja wohl kein Problem.
Bei der ganzen vorliegenden Auseinandersetzung geht es um die Frage der friedenspolitischen Programmatik und Ausrichtung der Linken in Deutschland. Angesichts des Vormarschs des IS hast Du mehrere Vorstöße gemacht, die sich jenseits der Programmatik der Linken bewegten und die ich, aber auch viele andere hochproblematisch fanden. Da wäre zum einen die Frage der Waffenlieferungen in den Irak, für die Du Dich explizit ausgesprochen hattest. Du hast diese Position später revidiert, aber da war der Schaden bereits angerichtet. „Auslandseinsätze beenden – Rüstungsexporte verbieten", so sind wir in den Bundestagswahlkampf 2013 gegangen und für diese Position stehe ich. Sie jetzt lediglich ein Jahr nach den Wahlen grundsätzlich in Frage zu stellen, kann mittelfristig zu einem großen Vertrauensverlust bei Wählerinnen und Wähler führen. Deine raschen Positionswechsel in der Rüstungsexportfrage haben jedenfalls viele massiv irritiert und ich frage mich ob das nicht dem Ruf unserer Partei und Fraktion schadet.
Dein zweiter Vorstoß neben der Forderung nach den Waffenlieferungen in den Irak war die Forderung nach der Einrichtung einer „UN-Schutzzone" im Irak. Jetzt schließt Du in Deinem Brief an mich kategorisch die Beteiligung deutscher Soldaten an der Einrichtung einer solchen „Schutzzone" aus. Bei deinem öffentlichen Vorstoß damals ist davon nicht die Rede gewesen. Im Anschluss an Deine Forderung gab es in der Fraktion einen Antrag von Michael Leutert, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Jan Korte und Frank Tempel, der die Bundesregierung auffordert, „den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anzurufen, damit dieser über die notwendigen Maßnahmen gemäß der UN-Charta entscheidet, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zum Schutz der gefährdeten Bevölkerung eine Sicherheitszone einrichtet und ihm dabei Unterstützung anzubieten." Die Sprachwahl ist hier nicht zufällig. In Kapitel VII der UN-Charta spricht man von „Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen" eingesetzt werden. Das nennt man robustes Mandat.
Eine ernsthafte Rede von der Einrichtung einer Schutzzone ist auch nicht möglich ohne das Bewusstsein von ihrer Herstellung durch Waffengewalt. Sie bezeichnet eben insofern nichts anderes als die Forderung nach einer UN-mandatierten Intervention unter anderem Namen. „Schutzzone" klingt vielleicht eben so harmlos wie beispielsweise „Flugverbotszone". Aber spätestens die Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen durch die NATO mit einem UN-Mandat zeigte wie wenig harmlos eine Flugverbotszone ist. Der Kern ist aber, dass hier wie gesagt in hohem Maße Waffengewalt eingesetzt werden muss, um die Einrichtung bzw. Durchsetzung einer Schutzzone zu gewährleisten. Was den Schutz von Minderheiten im Irak angeht, müsste dies dann auch konsequenterweise durch Bodentruppen und nicht nur Luftangriffe geschehen.
Was die Anzahl der Bodentruppen wiederum angeht, muss hier von einer größeren Streitmacht ausgegangen werden. Eine Beteiligung deutscher Truppen an einer solchen Militäroperation ist naheliegend – sonst müsste ihr Ausschluss in einem Antrag zu einem derart heiklen Thema seriöserweise ausgeschlossen werden. Dies war im vorgelegten Antragsentwurf aber eben nicht der Fall. Mir wurde zusätzlich von anderen Abgeordneten berichtet, dass ein solcher Ausschluss aber von den Antragtragstellern in der Diskussion um ihren Antrag vorgebracht wurde. Zudem hätten sich einzelne Antragsteller explizit positiv auf die US-Luftangriffe im Irak bezogen. Darauf bin ich bisher nicht eingegangen. Wesentlich erscheint mir, dass im Antrag selbst kein Ausschluss von Kampfeinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta entsprechend unserer programmatischen Beschlusslage festgehalten wurde. Zur Frage der Einrichtung der Schutzzone mit deutscher Unterstützung werde ich mich auch weiterhin öffentlich äußern. Auf meiner Webseite biete ich an, auch im Sinne einer Beruhigung, in der Passage meiner Rede (die du übrigens leider falsch zitierst) „Und ich bedauere in diesem Zusammenhang, dass dies anfangs auch einige in der Linken -diese Waffenlieferungen- gefordert haben. Und ich finde auch den heute eingebrachten Antragsvorschlag meiner Kollegen Stefan Liebich, Michael Leutert, Katrin Kunert, Jan Korte und Frank Tempel, de facto einen UN-Mandatierten Kampfeinsatz für die Bundeswehr im Irak mit tausenden von Soldaten zu fordern, schlichtweg falsch!" (https://www.sevimdagdelen.de/de/article/3703.widerstand_gegen_die_tabubrueche_der_grossen_koalition.html) das mit den „mit tausenden von Soldaten" durch die Originalformulierung des Antrags mit „Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, …..den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anzurufen, damit dieser über die notwendigen Maßnahmen gemäß der UN-Charta entscheidet, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zum Schutz der gefährdeten Bevölkerung eine Sicherheitszone einrichtet und ihm dabei Unterstützung anzubieten." entsprechend zu ersetzen und dies auch gerne mit dem kompletten Antrag der KollegInnen zu kennzeichnen, obwohl aus meiner Sicht die entsprechende Antragsformulierung eben gerade dies de facto impliziert.
Ich lehne diese Einrichtung einer UN-Schutzzone mit deutscher Unterstützung im Norden des Irak aber nicht nur deshalb ab, weil ich dies nicht für vereinbar mit unseren programmatischen Forderungen halte, sondern weil wie durch die Waffenlieferungen hier nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen und eine weitere Internationalisierung des Konflikts vorangetrieben wird. Ich kann keine Schädigung unserer Partei erkennen, wenn ich öffentlich unser Programm vertrete.
Statt unsere friedenspolitischen Positionen angesichts der neuen Kriege und Anforderungen der SPD und der Grünen als Bedingung für Regierungsbeteiligungen im Bund zu relativieren, sollten wir gerade was den Irak und Syrien angeht, unsere friedenspolitischen Alternativen zu Rüstungsexporten und Militärinterventionen stärker in die öffentliche Diskussion bringen. Das Erdogan-Regime ist auch weiterhin einer der größten Unterstützer des IS. Hier finde ich müsste viel stärker Flagge gezeigt werden, wie im Falle deiner aktuellen Erklärung zur Türkei und dem IS. Ich finde es jedenfalls unhaltbar, mit einem Regime, das über dessen Territorium weiter der Nachschub für den IS läuft, EU-Beitrittsverhandlungen stattfinden. Hier wünsche ich mir, dass wir dies auch in unseren Anträgen klar zum Ausdruck bringen. Deinen Vorstoß mit der Regierung Assad einen Gesprächsfaden aufzunehmen halte ich in diesem Zusammenhang für absolut richtig. Auch dies gehört zu unseren zivilen Alternativen. Auch wenn man für eine solche Forderung medial als Assad-Unterstützer gebrandmarkt wird, halte ich es zudem für angebracht, endlich für einen Wegfall der Sanktionen gegen die syrische Bevölkerung Stellung zu beziehen. Diese Sanktionen stärken den IS, der auch durch seine Raubzüge und anhaltende Sponsorengelder aus den Golfdiktaturen, seine Finanzmacht ausspielt.
Am Anfang eines neuen Feldzugs gegen den Terror ist es immer besonders schwierig NEIN zu sagen. Wir haben dies in Afghanistan mit den Taliban erlebt und wir können stolz sein, dass sich die damalige PDS von Anfang an diesem Krieg verweigert hat, auch wenn er mit einem Plazet des Sicherheitsrats vom Zaun gebrochen wurde. Die Koalition der Willigen, die sich jetzt gegen den IS zusammentut und nahezu alle Akteure beinhaltet, die ihn erst stark gemacht haben, würde aus meiner Sicht nicht besser, wenn sie mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats handeln würde oder sich zudem auf die Zustimmung der syrischen Regierung stützen könnte. Was sich hier anbahnt ist eine langanhaltende neue Militärintervention der NATO mit ihren Verbündeten, den Golfdiktaturen. Ziel ist es, die Region unter Kontrolle zu bringen und sie dem Einflussbereich des Iran zu entreißen. Geopolitische und geostrategische Interessen stehen dabei im Vordergrund. Ein solches Unternehmen würde auch nicht durch eine Beteiligung Russlands oder gar ein Bündnis mit der Assad-Regierung besser. Ich befürchte hingegen, dass wie im Falle Libyens, eine UN-Mandatierung von entsprechenden Gewaltmaßnahmen im Irak und in Syrien nur dazu genutzt würde, der völkerrechtswidrigen und verheerenden Regime-Change-Politik des Westens ein humanitäres und rechtsförmiges Mäntelchen umzuhängen unter dem die schlichte und auf imperiale Ziele gerichtete Gewalt weniger erkennbarer würde.
Gegen diese Konzepte der „humanitären Interventionen" und einer rechtsförmigen Bemäntelung der Durchsetzung des Stärkeren, sollten wir auch unsere Alternativen zu einer Stärkung des Völkerrechts und der zivilen Institutionen der UN in die Diskussion bringen. Warum haben wir es bisher nicht vermocht unsere programmatische Forderung nach einer „Entmilitarisierung der UN" stärker auszuformulieren und in die öffentliche Debatte zu bringen? Hier sehe ich für DIE LINKE viele Profilierungsmöglichkeiten. Jan van Aken hat es einmal drastisch aber wie ich finde treffend auf den Punkt gebracht: Ohne die Forderung nach einem generellen Verbot von Rüstungsausfuhren wird die Linke aufhören zu existieren, hatte er formuliert. Ich finde, dass dies auch für die Frage der Zustimmung zu Auslandseinsätzen gilt. Wir wissen es gerade von der SPD, wie schnell man nach einer Zustimmung zu einem relativ niedrigschwelligen Einsatz, bei dem sich alle unmittelbaren Befürchtungen einer Kampfverwirkung deutscher Soldaten, auf die Rutschbahn der generellen Zustimmung geraten kann. Ich möchte, dass wir nicht nur aus den eigenen Fehlern lernen, sondern auch aus denen anderer Parteien.
Da Dein Brief mittlerweile öffentlich ist und ich vielfach daraufhin angesprochen worden bin wirst du sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich meinen Antwortbrief morgen auf meiner Internetseite veröffentliche. Auch im Sinne einer fairen Diskussion. Gleichwohl würde ich es auch in Zukunft vorziehen, dass wir, wenn wir Kritik aneinander haben, zunächst das persönliche Gespräch miteinander suchen statt Briefe aneinander zu senden. Dafür stehe ich jedenfalls immer zur Verfügung.
Solidarische Grüße, Sevim Dagdelen
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Am 11. September 2014 erhielt Sevim Dagdelen von Gregor Gysi in seiner Funktion als Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag einen persönlichen Brief, der am 12. September in der Süddeutschen Zeitung teilweise veröffentlicht wurde. Auf vielfache Nachfragen veröffentlichen wir hier, auch zwecks einer fairen Diskussion, den Antwortbrief von Sevim Dagdelen.