Ausgrenzung beenden – Einbürgerungen umfassend erleichtern
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sich auf Dauer in einem Staat niederlässt, zumal wenn sich dieser als Demokratie versteht, hat Anspruch auf politische und soziale Rechte. Dieser Anspruch kann im Prinzip auf zwei Arten erfüllt werden: über einen unkomplizierten Zugang zur Staatsangehörigkeit oder über das Wahlrecht auch für die im Land lebenden Menschen ohne deutschen Pass.
Das, was wir von der Bundesregierung erleben, ist aber genau das Gegenteil. Sie schafft weder die Möglichkeit eines entsprechenden Wahlrechts noch nicht einmal auf kommunaler Ebene , noch versucht sie, Einbürgerungen tatsächlich zu ermöglichen und zu vereinfachen. Stattdessen erschwert und verhindert sie Einbürgerungen. Das konnten wir letzte Woche aus den aktuellen Einbürgerungszahlen des Statistischen Bundesamtes erfahren, denen zufolge immer weniger Menschen deutsche Staatsangehörige werden, weil die geltende Rechtslage und die schlimme Einbürgerungspraxis zu hohe Hürden darstellen.
Vor 20 Jahren, 1990, legte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in einem Grundsatzurteil nahe, eine demokratische Lücke zu schließen. Denn Millionen Menschen, die dauerhaft in der Bundesrepublik lebten, waren von allen Ebenen der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Gemeint waren damals 5,5 Millionen Menschen in Deutschland, die keinen deutschen Pass hatten, aber im Durchschnitt bereits mehr als zwölf Jahre hier lebten. Das war ein richtiger und wichtiger Hinweis des Verfassungsgerichts, was die Linke unterstützt.
(Beifall bei der LINKEN)
Die bisherigen Regierungen haben sich aber leider nicht an die Empfehlungen des höchsten Gerichts gehalten. Nein, das vom Bundesverfassungsgericht kritisierte Demokratiedefizit hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verschärft. Heute leben über 7 Millionen Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland, und ihre durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt sogar fast 19 Jahre. Die Einbürgerungszahlen befinden sich auf einem Tiefstand. Unter dem alten Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahr 1913 wurden 1999 noch über 143 000 Menschen eingebürgert. Damals galt noch das Abstammungsrecht.
Zehn Jahre danach, 2009, lagen wir mit knapp über 96 000 Einbürgerungen deutlich darunter. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes unter Rot-Grün im Jahr 2000 und den Verschärfungen unter der Großen Koalition von SPD und CDU/CSU im Jahr 2007 haben wir bei den Einbürgerungen einen kontinuierlichen Rückgang zu verzeichnen. Für dieses Jahr ist schon wieder mit einem Sinken der Zahlen zu rechnen, worauf die aktuell zurückgehenden Zahlen der Einbürgerungstests hindeuten.
Die Linke will das ändern. Mit unserem Antrag wollen wir das vom Bundesverfassungsgericht angesprochene Demokratiedefizit in Deutschland beseitigen. Wir wollen deutlich machen, dass der Schlüssel zur politischen Integration und Chancengleichheit in der rechtlichen Gleichstellung liegt. Diese Gleichberechtigung wiederum schaffen wir mit einem radikal vereinfachten und erleichterten Einbürgungsverfahren. Wir wollen damit den Menschen, die in Deutschland leben, ein Signal geben, nämlich das Signal, dass die Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, als fester und gleichberechtigter Teil in unserer Gesellschaft angesehen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer in diesem Land seit fünf Jahren seinen Lebensmittelpunkt hat, soll unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltstitel einbürgungsberechtigt sein. Wir wollen, dass Einbürgerung und politische Gleichberechtigung nicht vom sozialen Status und Einkommen abhängig sind. Deshalb wollen wir die Einbürgerungsgebühren auf einen symbolischen Betrag senken. Gleiche Rechte sollten nicht vom Bildungsstand abhängig gemacht werden. Deshalb sollten einfache Sprachkenntnisse ausreichen. Wir wollen keine Einbürgerungstests, um Menschen auf eine vermeintliche Einbürgerungsfähigkeit zu testen. Wir wollen die Staatsangehörigkeit per Geburt und die Abschaffung des absurden Prinzips der Optionspflicht. Wir wollen Mehrfachstaatsangehörigkeiten, die in einem Großteil der EU-Mitgliedstaaten erlaubt sind, grundsätzlich zulassen.
Wir wollen Ihnen mit unserem Antrag die Möglichkeit geben, den hier in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen Rechte zu geben und ihre andauernde Ausgrenzung zu beenden. Das können Sie, wenn Sie unserem Antrag zustimmen und nicht nur in Ihren Sonntagsreden über Willkommenskultur in Deutschland sprechen.
(Beifall bei der LINKEN)