Befreiungsfront ruft UNO um Hilfe

Knapp eine Woche nach dem Massaker der marokkanischen Besatzungstruppen in einem Camp in der besetzten Westsahara ist die Zahl der dabei und während der nachfolgenden Proteste getöteten Menschen auf mehr als 60 gestiegen. Das meldete die amtliche Nachrichtenagentur der Westsahara, SPS, am Donnerstag abend. Marokkanische Sicherheitskräfte hatten am Montag das rund 18 Kilometer von der Stadt Al-Aaiún entfernt gelegene Lager gestürmt, in dem laut Nichtregierungsorganisationen bis zu 20000 Menschen seit Mitte Oktober aus Protest gegen die Lebensbedingungen in der Westsahara ausgeharrt hatten.

Unter dem Eindruck von Demonstrationen in Madrid und anderen Städten verlangte Spaniens Außenministerin Trinidad Jiménez am Freitag von Marokko die »dringende« Aufklärung des Einsatzes. Zuvor war bekannt geworden, daß einer der Getöteten, Baby Hamadi Buyema, einen »spanischen Ausweis« mit sich geführt hatte. Der Bruder des Opfers warf der marokkanischen Polizei bei einer Pressekonferenz im südspanischen Alicante vor, Buyema mit einem Auto überfahren und »brutal ermordet« zu haben.

Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sevim Dagdelen, kündigte am Freitag in Berlin an, am Wochenende nach Al-Aaiún zu reisen. »Die marokkanische Regierung verhindert konsequent eine unabhängige Berichterstattung über ihr tödliches Vorgehen gegen die Bewohner in Al-Aaiún. Deshalb will ich mir persönlich einen Eindruck von der Lage vor Ort machen, um nicht auf die einseitigen Berichte der marokkanischen Regierung und des Militärs angewiesen zu sein«, erklärte die Sprecherin für internationale Beziehungen ihrer Fraktion.

Vertreter der sahrauischen Befreiungsbewegung Frente Polisario haben unterdessen die Vereinten Nationen zum Handeln aufgefordert. Ihr Chefunterhändler Khadad Mhamed sagte der Nachrichtenagentur IPS, der UN-Sicherheitsrat müsse das Leben unschuldiger Zivilisten schützen. Mit der gewaltsamen Auflösung friedlicher Proteste habe Marokko die klare Botschaft vermittelt, »daß es sich keinen Deut um uns schert und nur das tut, was den eigenen Interessen dient«.

Die nordafrikanische Westsahara war bis 1975 eine spanische Kolonie. Nach dem Abzug der Spanier verleibte sich Marokko völkerrechtswidrig zwei Drittel des Gebietes ein, rund 100000 Menschen flohen ins benachbarte Algerien, wo sie bis heute in Flüchtlingslagern in der Wüste leben müssen. Ein kleiner Rest des Landes steht unter Kontrolle der Polisario, die 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) ausrief und jahrelang auch bewaffnet für die Unabhängigkeit kämpfte. 1991 vereinbarten beide Seiten unter Vermittlung der Vereinten Nationen einen Waffenstillstand und die Durchführung einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit. Diese wird von Marokko jedoch bis heute verschleppt. (SPS/IPS/AFP/jW)