Begrüßung und Einleitung zur Konferenz am 1.3.2008 in Bochum

Link: Die Rede als MP3-Datei

-Es gilt das gesprochene Wort-

Massenentlassungen verhindern!

Als wir vor wenigen Wochen über den Titel der Konferenz diskutierten, Nokia ist überall – konnten wir noch nicht ahnen wie auf schlimme Weise aktuell sich dieser Titel erweisen würde

Diese Woche verging kein Tag ohne dass Hiobsbotschaften aus den Konzernzentralen in Deutschland zu vernehmen waren. Und in der Tat: Nokia Bochum ist kein Einzelfall; sondern Praxis im real existierenden Kapitalismus hier und heute.

Die aktuelle Liste der Massenentlassungen……

  1. Deutsche Telekom 32.000 Stellen bis Ende des Jahres

  2. BMW 7500 Stellen werden in Deutschland gestrichen 8100 weltweit

  3. RAG Deutsche Steinkohle 4800 Stellen im Bergbau dazu 5000 bei den Zulieferern

  4. Nokia über 4300 Entlassungen in Bochum

  5. Bei Siemens/SEN sollen allein 3200 Stellen in Deutschland und 6800 weltweit wegfallen

  6. Henkel aus Düsseldorf 3000 Stellen weltweit

  7. WestLB 1500 Stellen

  8. Alcatel-Lucent 750 in Deutschland

  9. Karman 600 in Deutschland

  10. 450 Stellen bei Continental in Deutschland

Keines dieser 10 Unternehmen schreibt rote Zahlen. Der Skandal ist, dass diese Massenentlassungen lediglich zur Steigerung der Umsatz- und Kapitalrendite stattfinden.

Die massiven Renditesteigerungen können nur durch Massenentlassungen erreicht werden. In Zukunft könnte der gesamte Automobilsektor in einem Ausmaß betroffen sein, wie wir es uns heute nicht vorstellen können. Es sollte uns hellhörig stimmen, wenn VW ankündigt, die Kapitalrendite bis 2018 auf 21% vervierfachen zu wollen.

Schauen wir uns Henkel an.

2007 steigerte Henkel das Betriebsergebnis trotz schwieriger Marktbedingungen um 3,5 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss erhöhte sich sogar um 8 Prozent auf 941 Millionen Euro. Der Umsatz wuchs um 2,6 Prozent auf 13,1 Milliarden Euro.

BMW fuhr zuletzt einen Vorsteuergewinn von lediglich 3,7 Mrd. Euro ein.

Nokia Bochum hat allein im vergangenen Jahr einen Gewinn von 134 Millionen Euro eingefahren, dennoch wird jetzt hier dichtgemacht.

Conti wies jetzt darauf hin, dass eine zweistellige Umsatzrendite erklärtes Unternehmensziel sei.

Das ist einfach unfassbar.

-Der DGB-Vorsitzende Sommer bezeichnet diese Unternehmenspraxis heute in der Osnabrücker Zeitung als „Kriegserklärung".

Angesichts dieses Kahlschlags agiert die Politik scheinbar kopflos. Und es scheint gegen diese Art der asozialen Unternehmenspraktiken kein Kraut gewachsen. Die Forderungen nach einer neuen sozialeren Unternehmensethik verhallen ungehört.

Die Politik muss sich fragen lassen, ob sie es hier weiter bei Appellen oder noch schlimmer beim Schulterzucken belassen will.

Das ist die Grundfrage dieser Konferenz. Das ist die Grundfrage der Zeit. Können wir diesen Praktiken etwas entgegenstellen oder können wir es nicht?

Für mich ist damit auch die Frage der Demokratie berührt.

Können wir es zulassen, wegen der Profitgier einiger weniger die soziale Existenz tausender Menschen zu ruinieren?

Und wenn man den Prognosen glauben kann, ist diese Welle von Massenentlassungen erst der Anfang. Was passiert wenn die US-Ökonomie, was viele vorhersagen, bald einbrechen wird? Was heißt dies dann für eine derart exportorientierte Wirtschaft?

Wenn das passiert, wird es hier nicht mehr nur um zehntausende sondern hunderttausende von Beschäftigten gehen, die auf die Strasse geworfen werden.

Der bayrische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer hat jetzt zu Recht die Politik dazu aufgerufen, „sich stärker einzumischen, wenn Großkonzerne massenhaft Arbeitsplätze abbauen." Und die IG Metall wirft BMW im Hinblick auf die Entlassungen zu Recht einen „Kulturbruch" vor.

Wie Hohn mutet es da an, wenn die deutschen Arbeitgeberverbände die Massenentlassungen auch noch rechtfertigen. So erklärte Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Entlassungen bei gleichzeitig steigenden Gewinnen seien nur auf den ersten Blick „widersprüchlich." Die Unternehmen müssten alles daran setzen, flexibel zu bleiben. Und dass, so Hüther (man glaubt es kaum!), „Das können sie nur tun, wenn die Gewinne hoch sind."

Da kann man nur mit Shakespeares Hamlet sagen: Etwas ist hier faul im Staate Dänemark. Ist das die Gesellschaft, die wir wollen?

Man kann dem Vorsitzenden der IG Metall, Bertold Huber, nur beipflichten, wenn er im Zusammenhang mit der Entlassungswelle sagt: „Die Wirtschaftselite in unserem Land droht ihre Verankerung in der Gesellschaft zu verlieren".

Wir müssen uns fragen, was getan werden kann, um sie an ihre soziale Verantwortung zu erinnern. Angesichts dieses Kapitalismus verkommt der Sozialstaat zur reinen Leerformel. Eigentum verpflichtet zur hemmungslosen Renditesteigerung – Ist diese Realität noch vereinbar mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Soziabindung des Eigentums? Müssen wir nicht angesichts des Angriffs auf ein soziales Zusammenleben in unserer Gesellschaft jetzt sagen mit welchen Maßnahmen wir diesem Kapitalismus begegnen wollen?

Für mich jedenfalls ist dabei eins wichtig: Die Zeit des Redens und der Appelle kann nicht unendlich ausgedehnt werden. Das sind wir den Menschen schuldig, die jetzt um Beschäftigung und soziale Existenz gebracht werden sollen.

Genauso sind wir den Menschen schuldig, dass ihre Stuergelder nicht wie bisher verschleudert werden, wie im vorliegenden Fall bei Nokia. Rund 80 Mio. Euro an Subventionen der öffentlichen Hand erhielt Nokia verbunden mit einer Arbeitsplatzgarantie. Aufgrund nicht eingehaltener Zusagen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt jetzt eine Rückforderung von 41 Mio. Euro durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens auf Nokia zu.

Und ich hoffe ganz stark, dass dies auf unserer Konferenz neben der Analyse der Situation im Mittelpunkt stehen wird.

Wie setzen wir die Verhinderung von Massenentlassungen durch oder wie es der Titel der Nokia Metallnachrichten von Donnerstag besagt: Wie können wir den Erhalt der Arbeitsplätze an die erste Stelle setzen?

In diesem Sinne wünsche ich uns eine erfolgreiche Konferenz.

Exkurs zur Subventionspolitik:

Ein richtiger Skandal ist überdies, dass der ehemalige Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Harald Schartau (SPD), bei der Vergabe von Subventionen an Nokia statt auf die Schaffung der vereinbarten Arbeitsplätze zu bestehen, einfach die Subventionsbedingungen an Nokia änderte. Er reduzierte die Zahl der neu zu schaffenden Arbeitsplätze von ursprünglich 797 auf 194. Doch auch diese Zahl hielt Nokia nicht ein, wie Schartau gut zwei Jahre später über Medienberichte erfahren haben soll.

Das ist nicht nur ein Verstoß gegen die Fördergesetze des Landes.

Nein, auch seine Nachfolgerin Christa Toben (CDU), die seit Mitte 2005 das Wirtschaftsministerium führt, unternahm gegen den Rechtsverstoß nichts. Das zeigt, wie man mit öffentlichem Eigentum der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler umgeht. Das ist Veruntreuung von öffentlichen Geldern und soweit ich weiss sogar nach § 266 StGB1 strafbar.