»Berlin hat seine Machtposition ausgenutzt«

Interview: Christian Selz

Sie waren vor kurzem zu politischen Gesprächen in Namibia. Worum ging es dort?

Ich habe Namibia im Rahmen einer Bundestagsdienstreise auf Einladung des namibischen Parlamentspräsidenten sowie anlässlich einer Einladung zu einer Gastvorlesung an der Universität von Namibia besucht. Hintergrund waren die aktuellen Diskussionen über das sogenannte deutsch-namibische Versöhnungsabkommen. Darum ging es in meinen Gesprächen mit hochrangigen Regierungsvertretern, darunter der namibischen Premierministerin und Außenministerin, der deutsch-namibischen Freundschaftsgruppe der Nationalversammlung sowie Vertretern der vom deutschen Genozid betroffenen Gemeinden. Zudem habe ich auf Einladung der betroffenen Verbände das Grab von Samuel Maharero, Anführer des Aufstandes der Herero gegen die Kolonie Deutsch-Südwestafrika, in Begleitung von Hinterbliebenen der Herero und dessen Enkel besucht.

Das 2021 zwischen Delegationen beider Länder ausgehandelte »Versöhnungsabkommen«, in dem sich Berlin zur Zahlung von 1,1 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren verpflichten wollte, wurde noch immer nicht unterzeichnet. In Namibia gab es zudem heftige Proteste gegen den Plan. Was sind die Gründe?

Berlin hat in den Verhandlungen mit der namibischen Seite seine Machtposition schamlos ausgenutzt. Weder erkennt man dort den Völkermord an den Herero und Nama rechtlich an, noch ist man bereit, für die Kolonialverbrechen Reparationen zu leisten. Der Bundesregierung ging es im Rahmen der Völkermorddebatte um ihre historisch-moralische Entlastung. Dafür wollte sie als Gegenleistung mit der von Ihnen angesprochenen »Entwicklungshilfe« weitermachen wie bisher. In meinen Gesprächen sowohl mit der namibischen Regierung als auch der Zivilgesellschaft bestand Einigkeit, dass diese Erklärung in dieser Form nicht das Ende der Verhandlungen sein kann.

Die Bundesregierung erklärt, sie könne nur auf Regierungsebene verhandeln – es sei an der namibischen Seite, Vertreter der Herero und Nama einzubeziehen.

Das ist ein mieser Taschenspielertrick. Anstatt ergebnisoffene Verhandlungen zu führen, hat die Bundesregierung de facto alle ausgeschlossen, deren Verhandlungsziel eine rechtliche Anerkennung des Völkermordes und Reparationen waren. Im übrigen haben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags in einer von mir beauftragten Ausarbeitung festgestellt, dass Berlin in Abstimmung mit der namibischen Regierung sehr wohl auch mit den Vertretern der Herero und Nama verhandeln und über ein Entschädigungsgesetz Reparationen an die Nachfahren der Opfer festlegen kann. Die Bundesregierung könnte also durchaus gegenüber der namibischen Seite Wiedergutmachung für die strukturellen Folgen der deutschen Kolonialherrschaft leisten als auch dem Wunsch der vom Genozid betroffenen Gruppen nach Anerkennung und Reparation nachkommen.

Die Vertretungen der Herero und Nama fordern nun Neuverhandlungen, wogegen sich Berlin sträubt. Warum will die Ampel um jeden Preis an einem unter CDU-Führung ausgehandelten Abkommen festhalten?

Bei der Ampelkoalition – einschließlich der Grünen, die sich offenbar auch in dieser Frage nicht um ihre Position von gestern kümmern – ist die Angst groß, die Büchse der Pandora zu öffnen und sich ernsthaft mit den vielen weiteren deutschen Kolonial- und Kriegsverbrechen wie dem Kolonialkrieg gegen China beschäftigen zu müssen. Denn das würde ein grundsätzliches Umdenken in der deutschen Außenpolitik und beim in Teilen neokolonialen Agieren der Bundesregierung erfordern.

Wie sind die Reaktionen in Namibia auf die deutsche Verweigerungshaltung? Und was passiert, wenn das Abkommen nicht neu verhandelt oder zumindest deutlich nachgebessert wird?

Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung ungeachtet der breiten Empörung in Namibia ihre Form der Geschichtsaufarbeitung in Kolonialherrenart durchsetzen will. In Namibia besteht große Irritation, dass die Bundesregierung die gemeinsame Erklärung für ausverhandelt hält und lediglich über Fragen der Umsetzung sprechen will. Dort ist man sich einig, dass an weiteren Verhandlungen kein Weg vorbeiführt.

Quelle: junge welt

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