Bochum und die Mythen des Neoliberalismus

Am Sonnabend fand in Bochum eine Konferenz der Linkspartei Nordrhein-Westfalen zur Rekommunalisierung statt. Die Bochumer Bundestagsabgeordnete der Linken Sevim Dagdelen erklärte in einem Grußwort dort u.a.:

Vor sieben Monaten fand hier an gleicher Stelle die Nokia-Konferenz »Nokia ist überall! – Was tun?« statt. Angesichts der Massenentlassungen bei Nokia Bochum hatte ich damals darauf hingewiesen, was erst passieren würde, wenn wir nicht gegensteuern, wenn die US-Ökonomie einbricht. Jetzt ist es soweit. Die Finanzkrise in den USA führt zu Bankenpleiten und massiven Kursstürzen an den Aktienmärkten. Die Autobauer sehen massiven Einbrüchen ihrer Verkaufszahlen entgegen. Jetzt hat das Opel-Management beschlossen, die Arbeit auch hier in Bochum zeitweise ruhen zu lassen. (…)

Ein Blick auf Bochum genügt, um zu sehen, wie die Mythen des Neoliberalismus sich aufs schlimmste entlarven. Nachdem bereits massive Kritik an Privatisierungen geäußert wurde, verfiel man auf die Idee, stärker auf das sogenannte Cross-Border-Leasing (CBL) zu setzen. Hier verbleibt die Kontrolle scheinbar bei den Kommunen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

2003 wurde in Bochum vom rot-grünen Rat beim Cross-Border-Leasing-Deal für einen Netto-Barwertvorteil von rund 20 Millionen Euro das städtische Kanalnetz in einem Hauptmietvertrag an einen US-Trust verleast. Das Vertragswerk umfaßt angeblich 1700 Seiten. Und der Vertragspartner ist angeblich die First Fidelity International, ein Ableger der bislang viertgrößten US-Bank Wachovia Corporation, North Carolina/USA. Die Wachovia Corporation ging jetzt als Teil der US-Bankenkrise praktisch pleite und wurde an Wells Fargo veräußert. Doch auch Wells Fargo steht keineswegs auf sicheren Füßen.

Die Bürgerinnen und Bürger Bochums hatten sich schon damals, im Frühjahr 2003, in einer Initiative mit Unterstützung von ATTAC Bochum, dem Bochumer Mieterverein und auch der damaligen PDS mit über 15000 Unterschriften gegen diesen CBL-Deal ausgesprochen. Trotz der massiven Kritik wurde das CBL damals gegen den erkennbaren Willen der Mehrheit der Bochumer Bevölkerung betrieben und unterschrieben.

Jetzt muß die Stadt Bochum sich wahrscheinlich einen neuen Rückversicherer suchen, weil das Rating des bisherigen Rückversicherers nicht mehr den Vertragsbestimmungen entspricht. Das heißt, auf die Stadt Bochum und vor allem die Bürgerinnen und Bürger Bochums kommen Zahlungen in unbekannter Millionenhöhe zu. (…)

Angesichts der beschriebenen Dramatik mit schwersten Folgen für uns alle, müssen wir auch bisherige Tabus brechen. Von verschiedener Seite wird als einziger Weg aus der Bankenkrise auf eine Komplettverstaatlichung des Bankensystems verwiesen. Am 29. September titelte z.B. die Frankfurter Rundschau: »Verstaatlicht alle Banken!« (…) Jetzt ist die Krise des Kapitalismus offen ausgebrochen. Jetzt gilt es diese Krise anzugehen. Wir müssen sicherstellen, daß die Krise nicht auf dem Rücken der Beschäftigten, Rentner und Erwerbslosen abgeladen wird. Mit der kapitalistischen Logik der Privatisierungen und der privaten Profit­aneignung von einigen wenigen zu Lasten der Allgemeinheit muß nachhaltig gebrochen werden.