Brüssels Türsteher
»Westbalkankonferenz« in Wien
Bereits vor der sogenannten Westbalkankonferenz stand fest: Der Balkan soll der elende Hinterhof der EU und Deutschlands bleiben. Die wirtschaftliche Misere wird zementiert. Während die EU-Berater vom Aufschwung und Potentialen fabulieren, spricht die Realität eine ganz andere Sprache. Im Jahr 2014 lag das Bruttosozialprodukt der Westbalkanstaaten einschließlich Kroatiens noch immer zehn Prozent unter dem Niveau des Jahres 1989. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 25 Prozent, die der Jugendlichen bei über 50 Prozent. Brüssels »Heranführungsstrategien« bevorteilen mittels Marktöffnungen und Privatisierungen das deutsche Kapital im besonderen. Je weiter die EU-Mitgliedschaft aufgrund der anhaltenden Misere in die Ferne rückt, umso dringlicher wird diese beschworen, um die Menschen in der Hoffnung auf eine Besserung ihrer Verhältnisse zu lassen. Aber immer mehr Menschen auf dem Balkan stimmen mit den Füßen gegen diese Misere ab.
Neben dem deutschen Interesse einer Neutralisierung des Einflusses Russlands auf dem Balkan, mehren sich deshalb die Appelle an Serbien, die Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien, Albanien und die Kosovo-Administration, keine Flüchtlinge mehr in die EU durchzulassen. Dies betrifft eigene Staatsbürger, aber vor allem auch die verzweifelten Menschen, die aus den Kriegsgebieten in Syrien, im Irak, in Afghanistan und Pakistan fliehen und versuchen, sich über die Westbalkanroute zu retten. Obwohl die Bundesregierung die ungarische Mauer gegen Schutzsuchende offiziell kritisiert, setzt man darauf, die Menschen zu stoppen. Unschöne Bilder wie die von mazedonischen Polizisten, die auf Flüchtlingskinder einschlagen, um diese am Grenzübertritt zu hindern, sollen dabei allerdings möglichst vermieden werden. So spendierte die EU-Kommission im Vorfeld der Konferenz bereits acht Millionen Euro an »Hilfe« für die EU-Beitrittskandidaten auf dem Balkan und die Türkei. Damit sollen Auffanglager gebaut und die Registrierung von Flüchtlingen bewerkstelligt werden, um das menschenverachtende Dublin-System aufrechtzuerhalten, das insbesondere Deutschland die Abschiebung von Flüchtlingen nach Griechenland, Italien, in die Balkanstaaten oder gar in die Türkei ermöglicht.
Die Westbalkanstaaten sollen als Türsteher für die EU Flüchtlinge abwehren. Damit wird der Weg für die Verzweifelten noch gefährlicher. Auch die Hoffnungslosen des Balkans werden sich von neuen Abschottungsmaßnahmen nicht aufhalten lassen. Allerdings wird auch ihre Reise in die EU immer gefährlicher und kostspieliger werden. Gerade für Minderheiten wie die Roma bedeutet dies weitere Entrechtung und Verelendung. Zudem wird der soziale, aber auch territoriale Zusammenhalt der Balkanstaaten zur Disposition gestellt. Übersetzt man die Westbalkanstrategie der Bundesregierung, bedeutet dies schlicht eine Verschärfung der Krise. Die Bekämpfung gegen die Flüchtlinge ist dabei nur ein Teil.
Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke im Bundestag
Quelle: junge welt