„Bundesregierung muss Attacken von Erdoğan zurückweisen“

WDR 2 Gespräch mit Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen

 

Erdoğan tobt, die Bundesregierung schweigt zur Kritik des türkischen Präsidenten an einer NDR-Satire. Fehlende Kritik von außen führe aber dazu, dass Erdoğan innenpolitisch immer aggressiver agiere, so die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Die Linke) auf WDR 2.

WDR 2: Dass der türkische Staatspräsident Ergoğan ein höchst problematisches Verhältnis zur Pressefreiheit im eigenen Land hat, das ist hinlänglich bekannt. Aber das gilt offenbar auch für die Meinungsfreiheit anderswo, nämlich bei uns. Wegen eines kritischen Beitrags im NDR-Satire-Magazin extra 3 ließ er den deutschen Botschafter einbestellen. Jetzt ist der Beitrag erst richtig bekannt, inzwischen vom NDR auch mit türkischen und englischen Untertiteln versehen, damit sich jeder ein Bild machen kann. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen hat sich schon ein Bild gemacht. Sie ist Außenpolitikerin ihrer Fraktion und Kind türkischer Einwanderer. Sie kennen also die Verhältnisse in der Türkei gut, Frau Dağdelen. Ist diese Reaktion Ergodans ein Zeichen dafür, wie stark er sich zur Zeit fühlt, weil er in der Flüchtlingspolitik gebraucht wird?

Sevim Dağdelen: Ganz klar. Also, statt dass er vor Gericht gestellt wird wegen der Verbrechen, die er gegen die Meinungs- und Pressefreiheit oder auch durch seine Waffenlieferung an islamistische Terrormilizen in Syrien zum Beispiel immer noch macht, wird er auf diplomatischem Parkett gefeiert in Brüssel und in Berlin. Und das führt natürlich auch dazu, dass er meint, nachdem er die Pressefreiheit in der Türkei mit Füßen getreten hat, dass er das auch in Deutschland machen kann.

WDR 2: Die Bundesregierung hat sich bislang mit Äußerungen dazu sehr zurückgehalten. Ist das diplomatisch klug oder müsste sie sich Ihrer Meinung nach deutlicher positionieren?

Sevim Dağdelen: Nein, ganz im Gegenteil. Ich finde, dass die Bundesregierung hier ganz klar wie die französische oder auch die US-Regierung diese Attacken von Erdoğan scharf zurückweisen muss. Das Problem ist, dass Erdoğan ja immer aggressiver und auch repressiver in der Innenpolitik wird, weil er eben nicht kritisiert wird von außen. Die Bundesregierung schweigt seit langem zu dem Krieg gegen die Kurden, zu der Meinungs- und Pressefreiheit, die dort unterdrückt wird, zu den Frauenrechten und so weiter, weil sie sich natürlich in die Hände (der Türkei, Anmerk. der Redaktion) begibt aufgrund dieses schäbigen EU-Türkei-Deals, damit Erdoğan den Türsteher gegen die Flüchtlinge macht. Und damit macht sie sich natürlich erpressbar. Und das weiß Erdoğan.

WDR 2: Wenn wir mal vom Staatspräsidenten absehen: Glauben Sie denn, dass sich auch viele Türken in der Bevölkerung durch die Kritik an ihrem Staatsoberhaupt beleidigt fühlen?

Sevim Dağdelen: Kommt drauf an. Bei den einen kommt es als eine Ermutigung und Solidarität an, bei der Zivilgesellschaft, den Demokraten. Bei den ganz reaktionären AKP-Anhängern wird es dazu führen, dass sie sich noch mehr hinter Erdoğan stellen, weil sie ja sowieso einer Verschwörungstheorie anhängen, dass alle Mächte, vor allen Dingen jüdische Mächte, sich gegen sie verschworen haben und ihren Leader Recep Tayyip Erdoğan.

WDR 2: Was würde eigentlich passieren, wenn ein türkischer Sender so etwas senden würde?

Sevim Dağdelen: Das Problem ist, wir haben im Moment eine Medienlandschaft in der Türkei, wo das unmöglich ist. Aber wenn es so gemacht wird, das hat ja auch die türkische Tageszeitung Cumhuriyet jetzt gemacht, sie haben dieses Video online gestellt mit türkischen Untertiteln. Und ich befürchte, dass es eine Anzeige wegen Präsidentenbeleidigung geben wird. Es gibt (…) 2.000 Anklagen, sogar 14jährige Kinder wurden bisher angeklagt, aber auch verurteilt. Und das ist der Stand der Medienlandschaft in der Türkei, und deshalb ist es wichtig, dass man sich auch solidarisiert und hier natürlich nicht schweigt – wenn schon das Auswärtige Amt, die Bundesregierung beschämenderweise schweigen.

WDR 2: Danke für das Gespräch.

Sevim Dağdelen: Ich danke auch, Herr Rehmsen.

Das Interview führte WDR 2 Moderator Helmut Rehmsen.

Quelle: WDR 2