Bundesregierung will Türken weiter mit Visumspflicht diskriminieren
„Die juristische Argumentation der Bundesregierung, mit der sie eine weitgehende Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit trotz des Soysal-Urteils des Europäischen Gerichtshofs verhindern will, steht immer mehr auf tönernen Füßen. Die Bundesregierung versucht so das Eingeständnis zu umgehen, dass sie das Urteil nicht umsetzen will“, so Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag anlässlich der aktuellen Antwort der Bundesregierung auf Nachfrage (BT-Drs. 16/13931). Weiter heißt es:
„Die Behauptung, das Soysal-Urteil würde nur für den Bereich der aktiven Dienstleistungserbringung gelten und nicht auch für Touristinnen und Touristen aus der Türkei, wird immer unglaubwürdiger. Denn die zentrale Argumentation der Bundesregierung, der Dienstleistungsbegriff des EG-Vertrages könne nicht auf das EU-Assoziierungsabkommen mit der Türkei übertragen werden, ist in keiner Weise nachvollziehbar. Die Bundesregierung muss in ihrer aktuellen Antwort einräumen, dass sich aus einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 1984 „ein Indiz“ dafür ergibt, dass der Begriff der Dienstleistungsfreiheit im EU-Kontext bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls 1973 die passive Dienstleistungsfreiheit mit umschloss. Dass das Assoziierungsabkommen und der Gerichtshof keine „voll-kommen deckungsgleiche“ Auslegung des Dienstleistungsbegriffs forderten, wie die Bundesregierung zur Rechtfertigung vorbringt, ändert nichts daran, dass sich nach der ganz überwiegenden Rechtsprechung und Rechtskommentierung der Dienstleistungsbegriff im Assoziationsrecht aus dem Begriff des EG-Vertrages und der Rechtsprechung des EuGH abzuleiten ist.
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Weber hat ausgesprochen, was hinter dem juristischen Herumgeeiere der Bundesregierung steckt: die absurde Vorstellung, dass das Soysal-Urteil ein Beleg für den ‚Beitritt der Türkei zur EU durch die Hintertür’ sei. Als ‚Retter des christlichen Abendlandes’ fühlt sich die Bundesregierung deshalb auch nicht an Recht und Gesetz gebunden. Ein in einer vorherigen Antwort noch vorgebrachtes Argument, wonach der Assoziationsrat bislang keine Maßnahmen zur Beseitigung der Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit erlassen habe, wird nun einfach als für die Rechtsauffassung der Regierung „nicht tragend“ bezeichnet. Die Weigerung der Bundesregierung das Soysal-Urteil in Deutschland bescheinigt der Bundesregierung kein rechtsstaatliches Verständnis. Es verstärkt immer mehr den Eindruck, dass die Bundesregierung klischeebedingt die weitgehende Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit nicht umsetzt.“