Dagdelen wirft Berlin Untätigkeit vor

Sevim Dagdelen im Gespräch Irina Grabowski vom RBB-Inforadio

Die Angst um Kobane und die Wut über unterlassene Hilfe seitens der Türkei und des Westens treibt auch in Deutschland Kurden auf die Straße. Es gibt friedliche Demonstrationen, wie zum Beispiel am Montag in Berlin, als ungefähr 600 Kurden spontan vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz zogen. Viele Frauen waren auch dabei. Oder in Hamburg blieb es bei einer Demonstration von ca. 1000 Menschen gestern auch friedlich. Am Abend davor sind radikale Muslime mit Eisenstangen und Messern auf Kurden losgegangen, die ebenfalls Messer dabei hatten. Wie sollen wir mit diesen Protesten umgehen? Worum geht es eigentlich bei diesen Protesten? Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Sie ist dort Mitglied auch im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, jetzt bei mir am Telefon.

Irina Grabowski: Schönen guten Morgen Frau Dagdelen.

Sevim Dagdelen: Guten Morgen Frau Grabowski.

Irina Graboswski: Worum geht es bei den Protesten, die wir gerade in Deutschland erleben?

Sevim Dagdelen: Zunächst einmal geht es um die Verzweiflung und den Unmut vieler Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland leben. Aber nicht nur der Kurdinnen und Kurden, sondern insgesamt aller Humanisten, die Mitgefühl haben, für die Situation der Menschen in Kobane, die bedroht vom Islamischen Staat bedroht werden.

Die Menschen haben einen Unmut bezüglich der Türkei und fordern auch von der deutschen Bundesregierung, dass diese massiv Druck auf das Erdogan- und AKP-Regime ausübt, damit diese gewährleisten, dass die kurdischen freiwilligen Kämpfer zum Beispiel aus der Türkei nach Syrien einreisen können, um die Menschen in Kobane zu beschützen und zu verteidigen.

Die Menschen sind natürlich auch wütend, dass die Türkei, ein NATO-Partner Deutschlands und enger Verbündeter der Merkel-Regierung, den IS mit mit Waffen und auch mit Kämpfern unterstützt und an der Grenze gewähren lässt.

Die Bundesregierung schweigt dazu, das ist ein dröhnendes Schweigen. Seit Wochen wird von ihr nichts über Kobane gesagt und überhaupt kein Druck entfaltet. Das treibt die Menschen natürlich auch auf die Straßen, um zu protestieren. In Hamburg ist vor allem eine Drachensaat aufgegangen, weil hier in Deutschland jahrelang nichts gegen die Rekrutierung für den IS unternommen worden ist.

Irina Grabowski: Die Sicherheitskräfte bemühen sich ja. Sie haben die Salafistenszene ja im Blick und bemühen sich. (…) Kurde ist ja nicht gleich Kurde…

Sevim Dagdelen: Nein, natürlich nicht. Aber man muss ja eines festhalten: Fakt ist, da sind radikalisierte Salafisten mit Macheten auf friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten losgegangen. Sie haben die Vereinslokale von Kurden mit Eisenstangen und Macheten angegriffen.

Man ließ diese radikalisierten Salafisten eben auch zu lange Zeit gewähren. Sowohl innen- als auch außenpolitisch, weil es gegen Assad in Syrien ging und man dort unbedingt einen völkerrechtswidrigen Regime Change auf den Weg bringen wollte.

Und man muss sich mal vorstellen: Bis zum 12. September war der Islamische Staat in Deutschland nicht verboten. Dass heißt, Spendensammlungen auf deutschen Straßen für den islamischen Staat, für diese extreme Mörderbande, wurden hier in Deutschland geduldet. Und natürlich auch die Rekrutierung von Kämpfern. Das war bis vor kurzem so. Und da sehe ich eben, dass da eine Drachensaat aufgegangen ist. Die Große Koalition drückt weiterhin beide Augen gegenüber diesen radikal-islamistischen Organisationen zu.

Irina Grabowski: Da muss ich Ihnen ein bisschen widersprechen. Der Innenminister hat ein Verbot, auch ein Betätigungsverbot, für den IS erlassen. Sobald da also jemand eine Fahne schwenkt, geht die Polizei gegen ihn vor. Und was wir sehen, ist auch, dass die Polizei versucht, sehr umsichtig mit diesen aufeinander treffenden Gruppen umzugehen. Und wir haben in Hamburg ja auch gesehen, dass auch die Gegenseite Messer dabei hatte. Aber lassen wir das mal beiseite. Müssen die kurdischen Gruppen aufpassen, dass sie gewaltbereite Unterstützer von den Demonstrationen fernhalten?

Sevim Dagdelen: Das sollte man in jeder Hinsicht machen, wenn man eine friedliche und freiheitsliebende Demonstration anmeldet. Wenn man seinen Protest legitim auf die Straße bringen möchte, dann sollte man immer darauf achten, dass man keine gewalttätigen Demonstrantinnen und Demonstranten unter sich duldet. Und soweit ich das weiß, versuchen das die kurdischen Organisationen auch. Sie können sonst natürlich auch überhaupt keinen Nutzen davon ziehen. Wem nützt es denn, wenn es Ausschreitungen gibt? Natürlich nicht den Kurdinnen und Kurden, die ja auch um die Sympathie der Bevölkerung buhlen und das Mitgefühl, dass es in der Bevölkerung mit den Menschen in Kobane gibt, auch politisieren wollen und Hilfe möchten. Da nützt es ihnen gar nichts, wenn es da Ausschreitungen gibt. Insofern glaube ich, es nützt eher den Salafisten, die diese Angriffe auch begehen.

Sie haben ansonsten recht, natürlich ist dieses Verbot erlassen worden. Die Linksfraktion hat das seit Jahren gefordert, aber ich denke, es darf nicht nur bei diesem Verbot bleiben. Es müssen bei deren Demonstrationen auch härtere Auflagen durchgesetzt werden, damit diese Salafisten nicht einfach auf den deutschen Straßen ihre Politik durchführen können und man sie auch noch gewähren lässt.

Quelle: RBB-Inforadio