»Das Versagen der Parteispitze ist unentschuldbar«

Interview: Nico Popp

Die Kampagne gegen die Initiatorinnen und die Inhalte der Kundgebung am Brandenburger Tor am vergangenen Sonnabend hält an. Zunächst: Welche Eindrücke haben Sie aus der Veranstaltung mitgenommen?

Der Zuspruch aus der Bevölkerung, die in ernsthafter Sorge ist bezüglich der Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen, ist groß. Das von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte »Manifest für Frieden« mit mittlerweile mehr als 700.000 Unterzeichnern und die große Kundgebung »Aufstand für Frieden« trifft den Nerv der Zeit. Dass die Polizei bei 13.000 Demonstranten mit dem Weiterzählen aufgehört hat, mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Einsatzkräfte mit der rechtlich fragwürdigen Sperre des Kundgebungsbereichs wegen Überfüllung beschäftigt waren.

Haben die Angriffe im Vorfeld nicht auch viele Menschen davon abgehalten, zu der Kundgebung zu gehen? Oder hat das Ihrer Ansicht nach nicht verfangen?

Die Diffamierungen zielen auf die Konstruktion eines inneren Feindes und haben ganz offensichtlich nicht verfangen. Mit schätzungsweise 50.000 Teilnehmern hat der »Aufstand für Frieden« wirklich alle Erwartungen übertroffen. Die Kundgebung und das Friedensmanifest sind Ermutigung für viele, ihre Stimme für einen Waffenstopp und Verhandlungsdiplomatie deutlicher und lauter zu erheben.

Wie bewerten Sie die Rolle, die die Bundesspitze Ihrer Partei in diesem Zusammenhang gespielt hat?

Das Versagen der Führung von Die Linke ist unentschuldbar und geradezu selbstzerstörerisch. So handelt die Spitze einer Sekte, nicht die einer verantwortungsvollen linken Partei. Im Gegensatz dazu haben Linke-Mitglieder mit den Füßen abgestimmt und sind massenhaft zum Brandenburger Tor gekommen. Das Agieren der Bundesspitze hat nichts mehr mit der Gründungsidee und dem Programm der Partei Die Linke zu tun – sowohl in der Friedenspolitik als auch was den antifaschistischen Gründungskonsens betrifft. Statt gegen den Faschistenverehrer und Banderisten Melnyk, dem die israelische Botschaft Verharmlosung des Holocaust vorwirft, klare Kante zu zeigen, wird er von linken Amtsträgern hofiert.

Die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert will am Samstag eine »Querfront« in Aktion gesehen haben. Was ist davon zu halten?

Katina Schubert ist mit ihren Forderungen nach Waffenlieferungen geistig längst bei der FDP-Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter von den Grünen angekommen. Das gilt auch für die Bremer Linke-Spitze oder Bodo Ramelow, der die Lieferung schwerer Waffen »in jedem erforderlichen Umfang« gegen Russland fordert. Wer sich Forderungen des deutschen Militarismus gegen den alten Hauptfeind der deutschen Rechten zu eigen macht, der hat den politischen Kompass längst verloren. Was ist das für ein Antifaschismus, der die eigene Partei für Kriegsgegner unwählbar macht, damit die AfD weiter stärkt und Die Linke als ursprüngliche Friedenspartei in die große Querfront der vielen anderen Kriegsparteien eingemeinden will? Dazu passt die Brandenburger Linke-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg, die meinte, für Frieden zu demonstrieren, wenn sie mit Leuten gemeinsame Sache macht, die – drei Demonstranten von ihr entfernt – mit »Gute Russen = Tote Russen« auf ihrem Plakat für Völkermord werben.

Wie nehmen Sie im Vergleich die Debatte an der Parteibasis wahr?

Alle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung und das Gros der Linke-Wähler gegen Waffenlieferungen und für Diplomatie und Verhandlungen sind. Das Manifest unterstützen 67 Prozent der Mitglieder. Die Parteiführung entkoppelt sich von einer großen Mehrheit an der Parteibasis.

Bei einer Auseinandersetzung mit dem rechten Publizisten Jürgen Elsässer am Rande der Kundgebung waren Sie mittendrin. Was genau ist da passiert?

Elsässer versuchte, die Friedenskundgebung in eigener Sache zu instrumentalisieren. Er und seine rechtsextremen Provokateure waren nicht willkommen, das habe ich ihnen auch persönlich erklärt und das haben unsere Ordner von Anfang an sehr deutlich gemacht. Durch ihr beherztes Einschreiten und die Unterstützung seitens anderer Kundgebungsteilnehmer wurden Elsässer und Co. auf Distanz gehalten, während die Berliner Polizei des »rot-grün-roten« Senats sie gewähren lassen wollte. Alles andere sind kontrafaktische Verleumdungen.

Quelle: junge welt

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