Das Prinzip Nützlichkeit

Das Prinzip Nützlichkeit EU will mit der Blue Card die gescheiterte Gastarbeiterpolitik der Bundesrepublik der 50er Jahre neu auflegen

Sevim Dagdelen

Glaubt man den Wirtschaftsverbänden und der EU-Kommission hat Europa einen drastischen Mangel an Fachkräften mit negativen Folgen für die Volkswirtschaft. Damit die europäische Wirtschaft keine allzu großen Nachteile vor allem im Wettbewerb mit den USA hat, will die EU jetzt den Zuzug von hochqualifizierten ausländischen Fachkräften nach Europa erleichtern. Mit dem im Oktober beschlossenen europäischen »Pakt zu Einwanderung und Asyl« wurde deshalb mit dem Konzept der »zirkulären und temporären Migration« eine Politik auf den Weg gebracht, »die allen Arbeitsmarkterfordernissen der Mitgliedstaaten Rechnung« tragen soll. Frei nach dem Motto, das Kapital braucht mehr Ausländer, die ihm nützen, soll unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesregierung die deutsche Gastarbeiterpolitik der 50er Jahre europaweit etabliert werden.

Die EU will »die Attraktivität für hochqualifizierte Arbeitnehmer« erhöhen. Die Blue Card, auf die sich die EU-Botschafter nach monatelangem Streit in Brüssel Ende Oktober geeinigt haben, die aber noch den Segen der EU-Innenminister bekommen muß, soll nach dem Vorbild der Green Card in den USA Menschen mit guter Ausbildung und besonderen Qualifikationen aus Nicht-EU-Staaten nach Europa locken. Voraussetzung für eine zweijährige Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung soll eine bestimmte Einkommenshöhe sein, die dem Bewerber von seinem künftigen Arbeitgeber in der EU garantiert werden muß. Nach zwei Jahren sind eine Verlängerung und ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat möglich. In Deutschland läge die Einkommenshöhe bei der Blue Card nach Expertenberechnungen bei etwa 42 000 Euro. Die deutsche Wirtschaft erhofft sich vor allem einen verstärkten Zuzug von Fachkräften aus der IT-Branche und von Ingenieuren und Ärzten.

Der sogenannte Fachkräftemangel ist nicht belegt. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, die 13500 Betriebe einbezog, hat ergeben, daß es keinen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt. Der Studie nach gehe es der Wirtschaft »vor allem um eine schnellere Besetzung offener Stellen und die Verhinderung höherer Lohnzahlung an inländische Fachkräfte«. Die im August veröffentlichte Vergütungsstudie »Ingenieure in Führungs- und Fachpositionen 2008« der Managementberatung Kienbaum, die auf Angaben von 570 Unternehmen basiert, bestätigt die These des IAB. Demnach sind die Gehälter deutscher Ingenieure im Zeitraum 2006/2007 um durchschnittlich 4,1 Prozent gestiegen und verzeichneten nun eine Steigerung von 3,6 Prozent. Eine Fachkraft verdiene im Durchschnitt 62000 Euro. Der Kienbaum-Vergütungsexperte Christian Näser bringt auf den Punkt, worum es der deutschen Wirtschaft geht. Angesichts dieser Gehaltsabschlüsse, sagte er, hätten insbesondere mittelständische Unternehmen erhebliche Schwierigkeiten, Ingenieurspositionen zu besetzen. Wenn die Zuwanderungsgrenze bei der Blue Card bei 42000 Euro liegen soll, ist sie deutlich unter dem Durchschnittswert von 62000 Euro und wird somit zur Verhinderung höherer Lohnzahlungen und zu Lohndumping führen.

Mit Integrationspolitik hat der Pakt nichts zu tun. Die miserable soziale Situation heute in den EU-Staaten lebender Migranten ist den Autoren keine Zeile wert. Nach Schätzungen des Leiters des Oldenburger Interdisziplinären Zentrums für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen, Professor Dr. Rolf Meinhardt, leben heute etwa eine halbe Million zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland, deren Abschlüsse hierzulande nicht anerkannt werden. Diese müssen in der Regel unqualifizierten Tätigkeiten nachgehen. Ohne Blue Card arbeiten russische Ärztinnen eben als Putzfrauen oder iranische Ingenieure als Taxifahrer.