Das Recht auf Familienzusammenleben durchsetzen – ohne Wenn und Aber
Erste Beratung des von der Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig), Petra Ernstberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des aufenthalts- und freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs (BT-Drs. 17/8921) und Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Europarecht beim Ehegattennachzug umsetzen (BT-Drs. 17/8610)
Am 1. März lief die Frist zur Stellungnahme zum Grünbuch der EU-Kommission zur EU-Familienzusammenführungsrichtlinie ab. Die Linke hat, wie zahlreiche andere Verbände und die Bundesregierung auch, eine entsprechende Stellungnahme abgegeben. Die Umsetzung der Familienzusammenführungs-Richtlinie in Deutschland im Jahr 2007 und insbesondere die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug durch CDU/CSU und SPD haben wir damals wie heute scharf kritisiert. Namentlich der Fraktion DIE LINKE habe ich die EU-Kommission aufgefordert, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesregierung einzuleiten, weil die jetzige deutsche Rechtslage und Praxis eindeutig gegen die geltende Richtlinie, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und die Auslegung der Richtlinie durch die EU-Kommission widersprechen.DIE LINKE setzt sich seit langem für ein möglichst umfassendes Recht auf Familienzusammenführung ein, das insbesondere auch nicht von der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Betroffenen abhängig gemacht werden darf. Insofern sehen wir auch einige Anforderungen der Richtlinie, etwa zur Lebensunterhaltssicherung, kritisch, die im Grünbuch nicht in Frage gestellt werden. Die Umsetzung der Familienzusammenführungs-Richtlinie in Deutschland im Jahr 2007 kritisieren wir aber insbesondere deshalb, weil sie dazu genutzt wurde, um den Familiennachzug nach politischen Nützlichkeitserwägungen des Aufnahmelandes einzuschränken. Die Neuregelung der Sprachnachweise im Ausland wirkt sozial ausgrenzend. Sie trifft insbesondere wirtschaftlich-, sozial- und bildungsbenachteiligte Menschen, ältere Menschen, Analphabetinnen und Analphabeten und die ländliche Bevölkerung mit schwierigem Zugang zu Sprachkursen usw. Die von der deutschen Gesetzeslage geforderten mündlichen und schriftlichen Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen stellen nach Kenntnis der Linksfraktion die höchsten Anforderungen in der Europäischen Union dar. Die Behauptung der damaligen schwarz-roten Bundesregierung, die Neuregelung solle angeblich dem Kampf gegen Zwangsverheiratungen bzw. einer besseren (Vor-) Integration der Betroffenen dienen, war von Anfang an heuchlerisch und zynisch. Einen Beleg für diese absurde Behauptung ist die Bundesregierung bis heute schuldig geblieben! Was damit allerdings erreicht wurde war die Verfestigung von Ressentiments gegenüber Migrantinnen und Migranten allgemein und Türkinnen und Türken im besonderen. Das war schon damals schäbig und ist es bis heute!
DIE LINKE. hat seit 2007 zahlreiche parlamentarische Initiativen zur Rückgängigmachung dieser Verschärfung des Ehegattennachzugs unternommen, darunter mehr als 15 Kleine Anfragen an die Bundesregierung. Im Mai 2010 haben wir den Antrag "Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermöglichen" eingebracht. Die Bundesregierung will aber offensichtlich an dieser menschenfeindlichen Regelung aus politischen Gründen so lange wie nur irgend möglich festhalten, obwohl längst klar ist, dass spätestens der Europäische Gerichtshof die deutsche Praxis stoppen wird, nachdem die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland leider so kläglich versagt hat. Die Bundesregierung stellt sich auf parlamentarische Anfragen hin taub und nimmt nicht zur Kenntnis, dass selbst das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Auffassung ändern musste und nunmehr eine Klärung durch den Europäischen Gerichtshof für erforderlich hält. Sie ignoriert die Rechtsauffassung der EU-Kommission genauso wie das überzeugende Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes und die Rechtsprechung und Praxis unseres Nachbarlandes Niederlande. Unser aktueller Antrag fasst die Entwicklung und Argumente im Europarecht zusammen. Die Bundesregierung argumentiert rein formal – und nimmt Menschenrechtsverletzungen im staatlichen Gewand damit sehenden Auges in Kauf. Wer jedoch die Gewährleistung von Menschenrechten vom Nachweis von Deutschkenntnissen abhängig macht, verletzt das Grundgesetz und die Menschenrechte mehr als es die vermeintlichen "Integrationsverweigerer" je könnten. Hören Sie also endlich auf, unter dem Deckmantel der "Integration" die Rechte von Migrantinnen und Migranten einzuschränken!
Nunmehr will auch die SPD auf der Oppositionsbank die selbst eingeführte Regelung der Sprachanforderung wieder zurücknehmen. Wie bei der so genannten Optionspflicht bzw. Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft sowie der Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatsangehörige sieht sich die SPD genötigt, den Schulterschluss mit den (potentiell) Betroffenen zu suggerieren. In ihrer 11-jährigen Regierungszeit jedenfalls hat sie entsprechende parlamentarische Initiativen immer abgelehnt. Doch nun ist schließlich wieder Wahlkampf in mehreren Bundesländern. Und da setzt die SPD mal wieder auf die Vergesslichkeit der Migrantinnen und Migranten. Doch, liebe Migrantinnen und Migranten, die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug im Jahr 2007 wurden bekanntlich mit der SPD beschlossen. Warum sollte man der SPD glauben, dass sie wirklich ihre grausamen Gesetze, die sie trotz massiver Kritik und Proteste der Betroffenen und vieler Verbände hier Bundestag beschlossen hat, zurücknehmen wird? Mir jedenfalls fällt kein Grund ein.
Doch die SPD fordert nicht einmal etwa eine uneingeschränkte und bedingungslose Umsetzung von Menschen- und Grundrechten. Nein! Die SPD hält am Zwang zum Deutscherwerb fest. Auch wenn dieser erst nach der Einreise erfolgen soll, so wird er dann umso vehementer eingefordert. Dass Kenntnisse der deutschen Sprache zwar wichtig, aber nicht ausreichend sind für die Integration in die Gesellschaft, ist der SPD genau so wenig wichtig, wie der Umstand, dass viele Migrantinnen und Migranten die deutsche Sprache beherrschen; das jedoch nichts bzw. kaum etwas an ihrer Situation in Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt ändert. Völlig kritiklos wird in der Begründung darauf Bezug genommen, dass die aufenthaltsrechtlichen Zwangs- und Sanktionierungsregelungen zum Spracherwerb zum 1.7.2011 verschärft wurden – in dem Antrag heißt es euphemistisch: "effektiviert". Dass Migrantinnen und Migranten jeweils nur eine längstens einjährige Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen, solange sie nicht Sprachkenntnisse des Niveaus B1 nachgewiesen haben, hält die SPD offenbar für unproblematisch. DIE LINKE ist strikt dagegen, die Gewährung grundlegender Rechte vom Nachweis von Deutsch-Kenntnissen eines bestimmten Niveaus abhängig zu machen und Integration durch Zwangsmittel erreichen zu wollen. Angebote zum Deutsch-Spracherwerb im In- und Ausland müssen freiwillig ausgestaltet werden. In Bezug auf die größte Migrantengruppe in Deutschland, türkische Staatsangehörige, folgt dies übrigens schon aus dem Verschlechterungsverbot des Assoziationsrechts – wie die Gerichte und Behörden in den Niederlanden längst begriffen haben. Leider scheint es bei Ihnen noch immer nicht angekommen zu sein.
DIE LINKE fordert, dass die Einschränkung des Menschenrechts auf Familienzusammenleben endlich ohne Wenn und Aber beendet wird. Die Bundesregierung muss dem niederländischen Vorbild folgen und die europarechtswidrigen Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug sofort zurücknehmen. Auch die Bundesregierung muss diesem Beispiel folgen, will sie nicht hinter die rechtspopulistisch beeinflusste Regierung in den Niederlanden zurückfallen. Die FDP scheint zumindest dies bereits begriffen zu haben.