Die fortgesetzte Lüge von der Integrationsverweigerung
Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz werden gerne mit vermeintlichen Integrationsverweigerern begründet. Das war vor fünf Jahren so und ist heute nicht anders. Wie die Bundesregierung jetzt aber einräumen muss, gibt es diese Integrationsverweigerer gar nicht.
Von Sevim Dağdelen
Es ist wie schon einmal vor fünf Jahren, als Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz mit dem populistischen Zerrbild der Integrationsverweigerung begründet wurden. Die Bundesregierung plant weitere Verpflichtungs- und Sanktionsregelungen im Zusammenhang der Integrationskursteilnahme. Doch einen realen Bedarf für solche Verschärfungen kann sie nicht darlegen, es geht ausschließlich um Stimmungsmache und das Bedienen rechter Vorurteile.
Auf eine parlamentarische Anfrage musste die Bundesregierung jetzt – wie bereits vor fünf Jahren – einräumen: Sie hat „keine Erkenntnisse“, bei wie vielen zur Integrationskursteilnahme Verpflichteten es sich um „Verweigerer“ handelt. Sie hat „keine Erkenntnisse“ zu den Gründen, warum Betroffene einer Verpflichtung nicht nachkommen konnten, und ihr liegen auch „keine Erkenntnisse vor“ zu den Gründen und der Vorwerfbarkeit von Kursabbrüchen oder Nicht-Teilnahmen. Sie hat auch „keine Erkenntnisse“ über die Anwendung von bereits möglichen Sanktionsmaßnahmen bei Verstößen gegen Sprachkurs-Verpflichtungen (Bußgeld, Kostenerhebung, Zwangsvorführung, Befristung oder Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis, Kürzung oder Einstellung von Sozialleistungen).
Merkwürdig. Bei der letzten Gesetzesverschärfung im Jahr 2011 hatte der Regierungspolitiker und heutige DFB-Präsident Reinhard Grindel (CDU) verkündet, dass durch die damalige Neuregelung „erstmals“ „belastbare Zahlen über Integrationsverweigerer“ verfügbar würden (Plenarprotokoll 17/96, S. 10989). Fünf Jahre später erstrahlt diese Lüge angesichts der dokumentierten fortdauernden Unwissenheit der Bundesregierung zu diesem Thema in gleißendem Licht. Die Wahrheit ist, dass diese Bundesregierung offenkundig überhaupt kein Interesse daran hat, belastbare Zahlen zu angeblichen „Integrationsverweigerern“ zu erhalten. Denn es gibt sie schlechterdings nicht – jedenfalls nicht in einer relevanten Größenordnung, die die geplanten Gesetzesverschärfungen legitimieren könnten. Dafür aber gibt es definitiv viel zu wenige Integrationskursangebote und immer noch Hunderttausende, denen ein Zugang zu Integrationskursen rechtlich verboten wird – beispielsweise erhielten gerade einmal 16 (!) Geduldete im Jahr 2015 eine Kurszulassung. Diese Integrationsverweigerung durch die Bundesregierung ist das eigentliche Problem, von dem mit populistischen Gesetzesvorhaben abgelenkt werden soll.
Dass es eines Zwangs bei Integrationsmaßnahmen überhaupt nicht bedarf, zeigen die Zahlen zu Unionsbürgerinnen und -bürgern. Diese Personengruppe darf wegen des Unionsrechts aufenthaltsrechtlich nicht zu einem Integrationskurs gezwungen werden. Dennoch belegen Unionsangehörige, gleich nach den syrischen Flüchtlingen, die Plätze 2 bis 5, 7, 9 und 10 der neuen Kursteilnehmenden im Jahr 2015. Der Anteil der Verpflichteten unter ihnen lag zwischen 1,8% (Ungarn) und 5,9% (Bulgarien), diese Verpflichtungen erfolgten im Einzelfall durch Sozialleistungsträger.
Der Anteil der Verpflichteten im Allgemeinen lag 2015 hingegen bei 43,3%. Doch eine Verpflichtung zum Integrationskurs bedeutet nicht, dass die Betroffenen ansonsten keinen Deutschkurs begonnen hätten. Im Gegenteil, eine Verpflichtung ergibt sich bei vielen neu Eingereisten qua Gesetz, etwa im Rahmen der Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Diese Menschen können, rechtlich gesehen, gar nicht „freiwillig“ Deutsch lernen. Auch das zeichnet ein völlig falsches Bild.
Es macht wütend, dass diese Koalition mit ihrem so genannten „Integrationsgesetz“, das vor allem auf Verpflichtungen, Sanktionen und Verschärfungen setzt, das empirisch komplett unbelegte populistische Zerrbild einer vermeintlichen Integrationsverweigerung weiter befördert – und damit der AfD in die Hände spielt.
Quelle: MiGAZIN