»Die Linke droht sich selbst abzuschaffen«
Interview: Jan Greve
Vor dem Parteitag von Die Linke an diesem Wochenende wird viel über Weichenstellungen gesprochen. Sie haben gemeinsam mit anderen Delegierten einen Änderungsantrag eingereicht, dessen Inhalt der Spiegel so zusammenfasste: »Wagenknecht-Lager will Solidaritätsbekundung mit Ukraine streichen«. Gibt das Ihre Position richtig wieder?
Nein, das ist eine bewusste Verfälschung und üble Diffamierung, die über die Medien gespielt auf die Diskreditierung unserer friedenspolitischen Anträge zielt. Um hier entgegenzuwirken, wird jetzt explizit die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine bekräftigt. Ich hoffe, dass endlich zur Sache diskutiert wird. Es kann nicht sein, dass alle, die sich klar gegen Waffenlieferungen, den Wirtschaftskrieg gegen Russland und für einen Verständigungsfrieden aussprechen, als Menschenfeinde dargestellt werden. Das ist im Kern nichts als durchsichtige Kriegspropaganda.
Wem gilt Ihre Solidarität in diesem Krieg?
Meine Solidarität gilt allen Menschen, die sich gegen diesen Krieg wenden, ob in Russland oder der Ukraine, sowie denen, die aktiv versuchen, Waffenlieferungen zu stoppen. Meine Solidarität gilt denen, die vom Krieg betroffen sind, die flüchten müssen und deren Städte und Dörfer beschossen werden, ob in Kiew oder im Donbass.
Was kritisieren Sie am ursprünglichen Leitantrag, den Sie und andere ändern wollen?
Die Linke muss sich entscheiden, wie sie zum Ukraine-Krieg steht. Wir brauchen auf Grundlage unserer bisherigen Programmatik ein klares Nein zu den Waffenlieferungen, die möglicherweise einen jahrelangen Stellungskrieg befeuern, und zum Wirtschaftskrieg, der nicht nur die Bevölkerung in Russland, sondern auch die hierzulande trifft. Im Leitantrag muss die Orientierung auf einen Verständigungsfrieden festgeschrieben werden. Und vor allem dürfen wir nicht über die Mitverantwortung des Westens, insbesondere der USA, am Ukraine-Krieg schweigen wie auch über die üble Doppelmoral, russische Kriegsverbrechen in der Ukraine ahnden zu wollen, aber zugleich den Journalisten Julian Assange lebendig zu begraben, der nachweisliche Kriegsverbrechen der USA im Irak öffentlich gemacht hat.
In Ihrem Antrag heißt es, es gebe keine Rechtfertigung für den Krieg Russlands gegen die Ukraine, er dürfe aber auch nicht »aus seinem geopolitischen und historischen Kontext« gelöst werden. Wo verläuft die Grenze zwischen Rechtfertigen und Kontextualisieren?
Verstehen heißt nicht rechtfertigen. Wer die Vorgeschichte des Krieges bewusst ausblendet – und dazu gehört zwingend die NATO-Osterweiterung trotz gegenteiliger Versprechen des Westens wie auch der Umsturz in der Ukraine 2014 mit westlicher Unterstützung –, der kann nur schwer fundierte friedenspolitische Positionen beziehen.
Rund 50 Personen unterstützen den Änderungsantrag. Der Spiegel zitiert Parteimitglieder, von denen Sie und die anderen als »Wagenknechte« bezeichnet werden. Ist das der Ton, den Sie auch bei den Debatten auf dem Parteitag erwarten?
Die Leute, die für die Öffnung der Partei in Richtung Krieg, Sanktionen und Waffenlieferungen plädieren, sind in der Regel auch diejenigen, die sich des Mittels der persönlichen Denunziation bedienen, gerade weil ihre sachlichen Argumente denkbar schwach sind. Das erleben wir seit Jahren, davon darf man sich aber nicht abschrecken lassen. Die Sprache, die diese Leute verwenden, richtet diese ja selbst.
Viel wurde zuletzt darüber gesprochen, dass das Fortbestehen der Partei bedroht ist. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Spaltung?
Zwischenzeitlich soll vom Parteivorstand ein Änderungsantrag übernommen worden sein, der die Geltung des Völkerrechts relativiert und einem Menschenrechtsinterventionismus den Weg bahnt. Das käme einer Aufkündigung des Gründungskonsenses der Linken gleich, eine Partei des Völkerrechts zu sein, wie es in unserem Erfurter Grundsatzprogramm festgeschrieben ist. Die Linke würde sich damit überflüssig machen, denn es gibt im Bundestag bereits genug Parteien, die das Völkerrecht relativieren. Hier läuft man Gefahr, dass Die Linke sich selbst abschafft. Ich wünsche mir eine Rückbesinnung auf den Gründungskonsens unserer Partei. Die Linke muss wieder die politische Kraft werden, die glaubhaft und geschlossen für Frieden und soziale Gerechtigkeit steht.
Quelle: junge Welt
Foto: „1. Tagung des 5. Parteitages in Magdeburg“ by DIE LINKE is licensed under CC BY-SA 2.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/?ref=openverse. Unverändert