Die Richtung muss stimmen

Von Sevim Dagdelen

Wer den Kompass der Partei Die Linke neu ausrichten möchte, geht davon aus, dass die bisherige Richtung in die Irre geführt hat, und möchte der Partei eine neue Richtung vorgeben. Eine Richtung, die Rettung verspricht. Davon allerdings ist im gerade vorgelegten Papier der beiden Vorsitzenden nichts zu spüren. Eine linke Alternative zum sogenannten progressiven Neoliberalismus der Ampelkoalition wird nicht deutlich. Eine antikapitalistische Handschrift, die auf den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und wachsender Kriegsgefahr verweist, ist nicht erkennbar.

Zwei wichtige Erkenntnisse, die für die Gründung der Linken entscheidend waren, scheinen verlorengegangen zu sein. Zum einen die Frage der zunehmenden Klassenspaltung: So findet sich bei den Projekten, die man als Linke angehen will, die Umverteilung von oben nach unten nicht mehr. Die Zentralität der sozialen Frage wird nicht mehr deutlich. Dabei ist es gerade das Signum des progressiven Neoliberalismus, dass er radikal weiter zugunsten von Oligarchen und Superreichen umverteilt, während Arbeiterinnen und Arbeiter immer weiter unter Druck geraten. Die Dramatik der Erosion der sozialen Basis von Demokratie wird nicht mehr erkannt beim Applaus für Cannabislegalisierung und Wahlalterabsenkung.

Die zweite entscheidende Fehlstelle ist der evidente Zusammenhang von Krieg und Kapitalismus. Kritik an Auslandseinsätzen der Bundeswehr wie an den Kriegen um Rohstoffe und geopolitischen Einfluss der USA und ihres Juniorpartners Deutschland unterbleibt. Statt dessen wird versucht, Die Linke als liberale Menschenrechtspartei aufzustellen, wobei die sozialen Menschenrechte etwa der über 800 Millionen Hungernden weltweit nicht mehr explizit hervorgehoben und Krieg als größte Menschenrechtsverletzung nicht mehr als Problem benannt werden. Zwar wird noch die völkerrechtswidrige Tötung durch US-Drohnen angeprangert, aber die Hunderttausenden Toten der illegalen US-Kriege sind aus dem Blick verschwunden. Die USA werden als Land, dessen prekäre Menschenrechtslage und mörderischen Rassismus Die Linke kritisiert, nicht mehr benannt. Statt dessen gilt die Sorge etwa der Presse- und Meinungsfreiheit in Nicaragua, Bürgerrechten in Russland oder Gewerkschaftsrechten in China. Das verwundert, sind die USA doch das Land mit der weltweit höchsten Zahl an Gefangenen; das Land, das in Guantanamo ein Straflager betreibt, in dem Insassen seit 2001 ohne Prozess inhaftiert sind und gefoltert werden; das Land, dessen Führung die Ermordung des Journalisten Julian Assange geplant hat und ihn wegen der Veröffentlichung zu US-Kriegsverbrechen, CIA-Folter und Korruption lebenslänglich in Isolationshaft begraben will.

Von all dem soll man als Linke nichts mehr wissen wollen? Die Linke braucht keinen neuen Kompass, sondern muss in die richtige Richtung navigieren.

Sevim Dagdelen ist Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages

Quelle: junge welt

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