"Die autoritären Tendenzen führen zur weiteren Erhitzung der Lage in Mazedonien"

DW: Frau Dagdelen, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Mazedonien? Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Sitzung des Bundestagsausschusses für Außenpolitik ableiten?

S. Dagdelen: „Die Lage in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien ist ernst. Zu tun haben wir es dort mit einer national-konservativen Regierung, die die Opposition sowie die Justiz und Medien abhört und die versucht, den Medien vorzuschreiben, worüber diese berichten dürfen. Nur, es scheint allerdings wohl auch so, dass die Opposition ihr darin um nichts nachsteht. Die autoritären Tendenzen führen zu einem Zustand, der sich immer weiter erhitzt, indem nämlich der Oppositionschef angebliche Tonaufzeichnungen von offiziellen Regierungspersonen veröffentlicht und die Regierung ihm wiederum den Versuch eines Putsches vorwirft sowie seinen Reisepass einzieht.

Das Land steht vor enormen wirtschaftlichen Problemen, die Spannungen zwischen der mazedonischen Mehrheits- und der albanischen Minderheitsbevölkerung steigen erneut. Es scheint, dass der Westen genau in Bezug auf die Gefahr, die sich für die territoriale Integrität Mazedoniens aufgrund großalbanischer Nationalisten entwickelt, blind bleibt. Wenn man nun zu hören bekommt, wie das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der großen Koalition Bestrebungen zu einem Großalbanien hin zu minimieren versucht, empfindet man Unbehagen. Und bietet die EU auch keine Unterstützung. Um irgendeine angeblich russische Einflussnahme zurück zu drängen, besteht offensichtlich eine Bereitschaft, die Lage weiterhin verschärfen zu lassen oder dass man, zumindest für den Fall einer Eskalation die Lage, dann Beachtung findet.

Die Bundesregierung möchte den Namensstreit mit Griechenland lösen, um Mazedonien zügig an die EU heranzuführen. Nur scheint diese Strategie unter Berücksichtigung der unversöhnlichen Positionen beider Parteien keine zu sein, die Erfolg verspricht."

DW: Gefährdet die aktuelle Krise, Ihrer Meinung nach, die EU-Integration des Landes oder ist diese Entwicklung genau die Folge eines Blockade-Prozesses aufgrund des griechischen Vetos? Ist jetzt eine zügige Lösung erforderlich, um Anreize zur weiteren Demokratisierung des Landes zu schaffen?

S. Dagdelen: „Die EU-Staaten drehen sich in Bezug auf die Mazedonien-Frage im Kreis. Es lässt sich keine wahren Bemühung um eine Demokratisierung und die territoriale Integrität Mazedoniens sowie auch keine Bereitschaft zur Wahrnehmung einer Vermittlerrolle bei den Konflikten, auch durch Einbeziehung von Russland, beobachten.

Die nationalistischen Spielchen und Abenteuer werden auf dem Rücken der einfachen Leute ausgetragen. Seit mehr als 15 Jahren ist ein Drittel der mazedonischen Bevölkerung von Arbeitslosigkeit betroffen. Mazedonien braucht eine wirtschaftliche Perspektive, die zu Gunsten der breiten Massen der Bevölkerung ausgelegt ist. China investiert in großem Umfang in die mazedonische Eisenbahn sowie in die Verkehrsinfrastruktur; Russland will Mazedonien an sein Gasnetz anbinden, die EU aber, unternimmt angesichts der vorherrschenden großen Armut nichts. Wenn die EU weiterhin lediglich Wert auf Privatisierung und Deregulierung legt, wird das nur zu einer Verschlechterung der sozialen Probleme führen."

DW: Kann Mazedonien überhaupt einen Ausweg aus der Krise aus eigenen Kräften finden? Wer kann dabei helfen?

S. Dagdelen: „Ich hoffe, dass Mazedonien seinen eigenen Weg aus der Krise finden wird. Darin müssen selbstverständlich alle politischen Gruppierungen, also ebenfalls die Minderheiten im Land, einbezogen werden. Dabei sind die Voraussetzungen nicht einmal schlecht. So hat die albanische Minderheit in Mazedonien Rechte, von denen die russischsprachigen Minderheiten in Estland, Lettland und Litauen oder auch in der Ukraine nur träumen können. Die Einmischungen von außen, zu Gunsten der Regierung oder aber auch zu Gunsten einer Regierungsumwälzung, müssen jedoch unverzüglich ein Ende finden. Ansonsten droht Mazedonien eine weitere Verschärfung des Konflikts.

Wie ich schon sagte, wenn alle Parteien einverstanden wären, könnten zum Beispiel die EU, Russland und die Nachbarländer eine Kontaktgruppe bilden, um so einen Weg aus der Sackgasse zu finden."

Quelle: Deutsche Welle