Die Gewerkschaften und die Linke
Der NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Frank Richter sprach am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag der Linken in Essen. Für seine Rede wurde er von den Linken bejubelt. Auch andere Gewerkschaftschefs in NRW buhlen um die Gunst der Linken, denn: Rund 80 Prozent der Neu-Mitglieder der Linken sind auch in einer Gewerkschaft.
Grußworte auf dem Landesparteitag
Auf einem Marktplatz in Bochum-Wattenscheid wirbt Thomas Prinz für den Mindestlohn. Seit fast 25 Jahren ist er in der Gewerkschaft, in seiner Heimatstadt Herten ist er stellvertretender Vorsitzender des DGB. Wie die meisten Gewerkschafter war auch Thomas Prinz gleichzeitig SPD-Mitglied. Das hat ihm zunehmend Bauchschmerzen gemacht. "In der Vergangenheit haben wir als Gewerkschafter mit dem SPD-Parteibuch in der Tasche ziemlich viel an Glaubwürdigkeit verloren. Es kann nicht sein, dass wir auf Veranstaltungen und Kundgebungen die Politik der sozialen Kälte anprangern – und dann, wenn Wahlkampf ist, für die Partei Werbung machen. Das nehmen uns die Leute nicht mehr ab."
Deshalb ist Thomas Prinz vor drei Wochen zur Linkspartei gewechselt. Rund 50 neue Mitglieder treten jede Woche bei der Linken ein. Der Großteil ist Gewerkschafter, wie er. Mindestlohn, Arbeitnehmerrechte – viele Forderungen, für die Thomas Prinz und seine Gewerkschaftskollegen streiten, hat auch die Linke in ihr Parteiprogramm übernommen. Trotzdem hatten die Gewerkschaftsspitzen zumindest öffentlich immer Distanz zur Linken gewahrt. Beim Landesparteitag in Essen am vergangenen Wochenende zeigte sich ein anderes Bild. Erst gab es freundliche Grußworte von ver.di und der Lehrergewerkschaft, dann kam Frank Richter auf die Bühne. Der Chef der Polizeigewerkschaft NRW wünscht sich die Linke in den Landtag. "Es ist wichtig, dass ihr in die politische Verantwortung kommt. Lasst Euch nicht verbiegen." So deutlich war bislang keiner.
Druck auf die SPD ausüben?
Gewerkschaften und Linke verfolgen ähnliche Ziele
Flirten Gewerkschaftsfunktionäre mit der Linken, um Druck auf die SPD auszuüben? Auch der nordrhein-westfälische DGB-Chef Guntram Schneider, selbst SPD-Mitglied, saß schon vor einem Jahr beim Gründungsparteitag der Linken Seite an Seite mit Gregor Gysi und sprach zu den Delegierten. Von einer stärkeren Abgrenzung zur Linken, wie es CDU und FDP fordern, will er nichts wissen. "Wo und was ein Gewerkschaftsfunktionär spricht ist seine eigene Verantwortung und die seiner Organisation. Das lassen wir uns nicht von CDU oder FDP vorschreiben. Das ist eine politische Unverschämtheit."
Gefährlicher Trend für die SPD
Glaubwürdigkeit in Frage gestellt
Zurück in Bochum-Wattenscheid. Hier hat der DGB die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen zur Diskussionsrunde eingeladen. Solche Termine werden für sie immer mehr zur Normalität. "Ich glaube, wir haben jetzt im 21. Jahrhundert endlich einen Zustand erreicht, an dem die Gewerkschaften sich nicht mehr fürchten, wenn sie bei der Linken auftreten. Und die Linken fürchten sich nicht mehr davor, dass die Gewerkschafter alle Sozialdemokraten sind."
Gewerkschafter wie Thomas Prinz wechseln zur Linken, führende Arbeitnehmervertreter flirten offen mit der Linkspartei. Für die SPD ist dieser Trend gefährlich. In Bochum-Wattenscheid stellt sich der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete deshalb demonstrativ an die Seite der Gewerkschaften. Er spricht von Mindestlohn, wettert gegen Leiharbeit. Kampflos will die SPD den Linken das Feld nicht überlassen.
http://www.wdr.de/tv/westpol/beitrag/2008/10/20081026_gewerkschaft-und-linke.jhtml;jsessionid=OUQUTS2FGUEGUCQKYRTETIQ