Die Rückkehr der Religion
Koptuchverbot – Der Staat darf muslimischen Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern nicht länger und pauschal verbieten, hat das Bundesverfassungsgericht nun entschieden. Für ein entsprechendes Verbot müssen konkrete Gründe vorliegen. Ein solcher Grund wäre zum Beispiel eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben an bestimmten Schulen. Damit revidiert das Gericht ein eigenes Urteil aus dem Jahr 2003.
Die Bundesländer Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Saarland führten seinerzeit nach dem Richterspruch ein Kopftuchverbot für ihre Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen ein. Konsequent wäre es gewesen, alle religiösen Symbole zu verbannen, doch fünf der acht Bundesländer haben Ausnahmen für christliche Symbole festgeschrieben.
Die Gesetze richteten sich damit ausschließlich gegen Muslime. Das ist aus meiner Sicht nicht nur ein klarer Widerspruch zur religiösen Neutralitätspflicht der Schulen, sondern diskriminierend. Insofern ist das aktuelle Urteil des Verfassungsgerichts zu begrüßen.
In anderer Hinsicht aber nicht: Das aktuelle Urteil entfernt die Bundesrepublik weiter von der strikten Trennung von Staat und Religion. Als Politikerin der Linken vertrete ich die Auffassung, dass religiöse Symbole – egal welcher Religion – nicht in Gerichte, Parlamente, Rathäuser, staatliche Krankenhäuser, Kindestagesstätten, Schulen oder Behörden gehören.
Kopftuch gehört genauso verboten wie das Kreuz im Klassenzimmer
Das Kopftuch verbietet sich daher aus den gleichen Gründen wie das Kreuz im Klassenzimmer. Religionsunterricht, Schulgebete, Schulgottesdienste oder religiös definierte Erziehungsziele haben im Bildungswesen nichts zu suchen.
Ich setze mich für eine klare Trennung von Staat und Religion ein. Das würde auch eine Gleichbehandlung aller Religionen in Deutschland bedeuten. Heute aber genießen die beiden großen christlichen Kirchen zahlreiche Privilegien – die Neutralitätspflicht des Staates wird verletzt.
Es ist wenig verwunderlich, dass Vertreter der Muslime und Kirchen den Richterspruch des Verfassungsgerichts als Stärkung der Glaubensfreiheit bewerten.
Insbesondere die Kirchen wissen, dass ihre Privilegien davon abhängen, ob sie sich dafür einsetzen, diese auch anderen Religionsgemeinschaften zuzubilligen. Sie alle haben kein Interesse daran, das Neutralitätsgebot dahingehend zu interpretieren, dass sie ihre Sonderrechte verlieren und damit ihren maßgeblichen Einfluss preiszugeben.
Wir brauchen nicht mehr Religion im öffentlichen Leben, sondern weniger. Deshalb sind aus meiner Sicht nun die Bundesländer gefragt. Sie müssen jetzt – wie etwa Berlin – alle religiösen Symbole aus der Schule entfernen. Das ist im Sinne einer pluralen Gesellschaft.
Sevim Dagdelen, MdB
Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages
Stellv. Mitglied im Innenausschuss des Bundestages
Sprecherin für Internationale Beziehungen
Sprecherin für Migration und Integration