Die ukrainische "Revolution" und das Problem des Neonazismus in der Ukraine

Von Peter Wolter Weit über 100 Zuhörer waren am Montag abend in den Münzenberg-Saal des Berliner ND-Gebäudes gekommen – doch sie mußten eine Stunde bis zum Beginn der Podiumsdiskussion über die Ukraine warten. Grund: Für Sergiy Kirichuk von der Gruppe »Borotba« und Olexander Prisnjazhnjuk (Kommunistische Partei der Ukraine, KPU) hatte sich überraschend die Gelegenheit geboten, gemeinsam mit der Abgeordneten Sevim Dagdelen und mit dem Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, über die Lage in ihrer Heimat zu sprechen. Am gestrigen Dienstag folgte ein Treffen mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht.»

Jetzt sind in Kiew richtige Faschisten an der Macht«, eröffnete Prisnjazhnjuk die Podiumsdiskussion. Linke seien ihres Lebens nicht mehr sicher, viele Parteibüros seien verwüstet worden. Die antikommunistische Hysterie werde offiziell gefördert, die Regierung tue alles, um den Haß zu schüren. Die Zahl der Menschen, die am 2. Mai im Gewerkschaftshaus von Odessa ums Leben kamen, werde von den Behörden mit 46 bagatellisiert. Es seien sehr viel mehr Opfer zu beklagen, möglicherweise über 100 – bei lebendigem Leibe verbrannt, zu Tode geprügelt, erschossen.

Die KPU nehme an den für den 25. Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen teil, sagte Prisnjazhnjuk weiter. Angesichts der ständigen Bedrohung durch Terrorattacken der Faschisten sei ein Wahlkampf aber unmöglich. »Sie wollen nicht nur den Kommunismus vernichten, sondern gleich alle Andersdenkenden mit.«

Für die linke Gruppe »Borotba«, die etwa 1000 Anhänger im ganzen Land hat, widersprach Kirichuk. Er warnte vor parlamentarischen Illusionen, jede Wahlbeteiligung sei sinnlos. Die Oligarchen, von denen einige den gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch unterstützt hatten, seien allesamt auf die Seite der faschistischen Regierung übergegangen. In der Ukraine laufe zur Zeit ein ähnliches von den USA organisiertes Szenario ab wie in Syrien, Irak oder Afghanistan. »Wir hoffen auf die Solidarität unserer Genossen in Deutschland«, ergänzte Kirichuk.

Damit ist es bislang noch nicht weit her, wie Hans Modrow bekannte, der frühere Ministerpräsident der DDR. »Nimmt man da etwas nicht richtig wahr?« fragte er. »Mir scheint, daß Die Linke ein wichtiges strategisches Problem nicht erkannt hat.« In einer Publikation des US-Strategen Zbigniew Brzezinski habe man schon 1997 nachlesen können, daß es Ziel der USA sein müsse, die »Ukraine dem russischen Einfluß zu entziehen«. Die NATO habe nur eine Strategie: Eskalation.

Aus dem Publikum mischte sich der britische Labour-Politiker Denis MacShane ein, von 2000 bis 2005 Europaminister seines Landes. »Ich fürchte, daß es in der Ukraine mit einer großen Tragödie endet«, sagte er. Angst habe er auch davor, daß nach der Europawahl am 25. Mai zahlreiche Ultrarechte ins Europaparlament einziehen. »Nach diesem Datum müssen wir in Europa Schulter an Schulter gegen den Faschismus kämpfen!«

Als Podiumsdiskutant der DKP stellte Stefan Natke den ukrainischen Genossen einige kritische Fragen, die letztlich unbeantwortet blieben: Wo waren die Kommunisten in den sozialen Bewegungen? Warum setzt ihr auf den Parlamentarismus? Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen setzte sich schließlich u.a. mit der Medienberichterstattung über den Ukraine-Konflikt auseinander. »Ich gucke kein Lügenfernsehen mehr«, bekannte sie. »Das ist eine Beleidigung der Intelligenz von Millionen Menschen.«

Quelle: junge welt