Dringliche Frage PlPr 17/101: Zustimmung zu EUFOR Libya; etwaige Entsendung von Bundeswehreinheiten

Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung am 1. April 2011 im Rat der Europäischen Union einer Militäroperation der Europäischen Union, EUFOR Libya, im schriftlichen Verfahren zugestimmt, und beabsichtigt die Bundesregierung die Entsendung von Bundeswehreinheiten im Rahmen dieser Militäroperation?

Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper vom 6. April 2011:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr verehrte Frau Abgeordnete Dagdelen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nach dem Beschluss des Rates vom 21. März 2011 und der Annahme des Krisenmanagementkonzepts war ein weiterer Ratsbeschluss erforderlich, um Planungen der Europäischen Union weiterführen zu können. Dieser Ratsbeschluss bedeutet allerdings nicht, dass es automatisch zu einer Operation kommt. Der Beginn einer Operation setzt nämlich die Vorlage und Billigung eines Operationsplanes durch den Rat voraus sowie eine separate Entscheidung des Rates, die Operation auch tatsächlich zu beginnen.

Dies kann im konkreten Fall einer militärischen Operation zur Unterstützung von humanitärer Hilfe erst dann finalisiert und beschlossen werden, wenn eine Anfrage des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten – in Kurzform OCHA – vorliegt. Die geplante Operation EUFOR Libya soll, wenn OCHA darum ersuchen sollte, die Mandate der Resolutionen 1970 und 1973 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen untermauern, indem sie erstens einen Beitrag zum sicheren Transport und zur Evakuierung von Staatsangehörigen dritter Staaten leistet und zweitens die humanitären Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit durch die Bereitstellung von spezifischen militärischen Fähigkeiten unterstützt.

Im Laufe der Eventualfallplanung wird das mit den operativen Planungen beauftragte Hauptquartier in Rom bei den EU-Mitgliedstaaten abfragen, ob und gegebenenfalls welche Kräfte sie zur Verfügung stellen würden. Für eine Antwort würde den Mitgliedstaaten natürlich eine gewisse Zeitspanne gegeben werden. Eine offizielle Anfrage nach Kräften würde voraussichtlich erst nach Annahme eines Operationskonzepts durch den Rat im Rahmen der Streitkräftegenerierungskonferenz stattfinden.

Die Bundesregierung würde sich einer Anfrage von OCHA zur Absicherung und Unterstützung von humanitären VN-Hilfsleistungen durch die EU nicht verschließen. Auch die Nutzung der in Bereitschaft stehenden Verbände zur schnellen Krisenreaktion, der sogenannten EU-Battle-Groups, oder von Teilfähigkeiten ist möglich. Mit der Frage eines deutschen Beitrags wird sich die Bundesregierung im Lichte der zum Zeitpunkt einer eventuellen OCHA-Anfrage durch die EU anzustellenden Risiko- und Bedrohungsanalyse befassen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist daher noch nicht klar, ob es sich dabei gegebenenfalls um einen mandatierungspflichtigen Einsatz handelt. Sollte dies der Fall sein, wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag zeitgerecht um Erteilung eines Mandates ersuchen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Gibt es Nachfragen, Frau Dagdelen? – Bitte schön.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Pieper, wir haben heute im Auswärtigen Ausschuss ganz kurz über Libyen gesprochen. Staatssekretär Born ist in diesem Zusammenhang auch kurz auf die EU-Battle-Groups eingegangen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer möchte ich darauf hinweisen, dass Battle Group wörtlich übersetzt Schlachtgruppe heißt. Das ist ein Kampfverbund, also eine militärische Einheit.

In meiner dringlichen Frage habe ich vor allen Dingen gefragt, aus welchen Gründen die Bundesregierung dem Vorratsbeschluss, der besagt – das haben Sie richtig dargestellt –, dass erst einmal eine Anfrage vorliegen muss, im schriftlichen Verfahren, was sehr ungewöhnlich ist, zugestimmt hat. Sie haben noch nicht erklärt, warum man das gemacht hat.

Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, um folgende Nachfrage zu stellen: Gibt es konkretere Planungen bezüglich des Einsatzes einer EU-Battle-Group? Bisher wurden sie ja noch nie eingesetzt, sondern sie waren immer nur im Stand-by-Modus. Wenn überhaupt, welche Battle Group soll dann zum Einsatz kommen? Laut Vorratsbeschluss kann es mit Zustimmung der Bundesregierung auch zu Einsätzen in Grenzregionen – Ägypten oder Tunesien – kommen. Ist aber auch ein militärischer Einsatz in Libyen in Erwägung gezogen worden, und wie steht die Bundesregierung zu dieser Frage?

Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:

Frau Abgeordnete, zu den Gründen will ich noch einmal ganz klar sagen: Wir wollen nicht, dass es zu einer humanitären Katastrophe in Libyen kommt. Ich glaube, dass Sie das auch nicht wollen. Es geht hier nicht um die Zustimmung zu einer militärischen Aktion, die Sie hinterfragen. Wir wollen die Durchführung einer humanitären Aktion ermöglichen. Der Weg bis dahin ist aber noch weit. Ich habe Ihnen das Verfahren gerade vorgestellt.

Ich könnte das jetzt auch noch einmal vorlesen. Ich will an dieser Stelle aber daran erinnern, dass sich die UN eindeutige Richtlinien gegeben haben, die Sie kennen: die Osloer Richtlinie und die Richtlinie für „Military and Civil Defence Assets“. Darin heißt es, dass der Einsatz militärischer Mittel „the last resort“ ist. Es ist also das letzte Mittel, um humanitäre Katastrophen zu verhindern. Das will ich noch einmal eindeutig herausstellen.

Zu Ihrer Bemerkung, „Battle Group“ einfach wörtlich zu übersetzen, möchte ich Folgendes sagen: Eine Battle Group besteht aus insgesamt 2 000 Personen. Deutschland stellt für eine der beiden derzeit aktiven Battle Groups umfangreiche Komponenten zur Verfügung, insgesamt 990 Soldaten, darunter für den humanitären Einsatz besonders geeignete Kräfte wie Sanitäter und Pioniere.

Ich möchte noch einmal ausdrücklich sagen: Die OCHA hält eine Anfrage nach militärischer Unterstützung für humanitäre Aktionen für derzeit nicht erforderlich, da eine ausreichende Bewegungsfreiheit der Helfer gegeben ist. Dennoch kann es eine solche Anfrage geben. Daher befasst man sich nun vorsorglich mit diesen Planungen. Das bedeutet nicht, dass diese dann auch umgesetzt werden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es bedarf eines Operationskonzeptes und vieles andere mehr; aber das wissen Sie auch, Frau Abgeordnete. Deswegen stellen sich diese Fragen aktuell nicht.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Dagdelen, eine zweite Nachfrage. Bitte schön.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, wir als Fraktion legen selber fest, ob eine Frage sinnvoll ist oder nicht. Sie sagen, die OCHA hält einen militärischen Einsatz mit Blick auf die humanitäre Situation im Moment für nicht notwendig. Da fragt man sich schon, warum ein Ministerrat, bevor er überhaupt zusammenkommen kann, im schriftlichen Verfahren einen solchen Vorratsbeschluss für einen Militäreinsatz fasst. Diese Frage ist durchaus legitim. Sie meinten, der Grund dafür wäre, dass man eine humanitäre Katastrophe verhindern wolle; das ist auch in unserem Sinne; da haben Sie recht. Es ist in unser aller Interesse, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden.

Ich möchte dennoch gern wissen, inwiefern für die Bundesregierung dieser Vorratsbeschluss und ein eventueller militärischer Einsatz zur Unterstützung der Umsetzung humanitärer Hilfe vereinbar ist mit der alltäglichen Zurückweisung von Flüchtlingen an der Seegrenze durch die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX – sofern sie nicht völlig seeuntüchtige Boote verwenden – und mit der Tatsache, dass mehrere EU-Mitgliedstaaten zeitgleich Luftangriffe auf Libyen durchführen, bei denen Menschen getötet werden, dabei die Lebensgrundlagen dieser Menschen zerstören, zu einer Eskalation und Verlängerung des Bürgerkrieges beitragen, was wiederum mehr Flüchtlinge und Hilfsbedürftige erzeugt.

Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:

Frau Abgeordnete, Sie wissen, dass sich die Bundesregierung, was die Flugverbotszone anbelangt, im UN-Sicherheitsrat bewusst der Stimme enthalten hat. Trotzdem sage ich Ihnen eindeutig: Wir werden nicht wegschauen, wenn es zu einer humanitären Katastrophe kommt. Die Lage der Flüchtlinge macht uns sehr betroffen. Wir haben das im Auge. Und weil wir das im Auge haben, hat der Außenministerrat vom 21. März 2011 Planungen für eine gemeinsame Unterstützung von humanitären Hilfsmaßnahmen der Vereinten Nationen und der OCHA aufgenommen; auch die Hohe Vertreterin Ashton wurde ersucht, Schlussfolgerungen zu ziehen. Das steht im Vordergrund unserer Bemühungen.

Ich bitte Sie, nicht immer wieder zu unterstellen, dass die Bundesregierung dort militärische Aktionen beabsichtigt. Das ist nicht unser Ziel. Das haben wir bereits mehrmals deutlich gemacht.