Dringliche Frage PlPr 17/145: Etwaige deutsche Beteiligung an dem NATO-Angriff auf pakistanische Stellungen in der Nacht zum 26. November 2011 und Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Waren deutsche Kommandostäbe an dem NATO-Angriff auf pakistanische Stellungen in der Nacht zu Samstag, dem 26. November 2011, beteiligt, bzw. hatten Deutsche Kenntnis davon, und welche Auswirkungen haben die Vorkommnisse auf die Sicherheitslage in Deutschland, besonders angesichts der nächsten Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember 2011 in Bonn, an der Pakistan seine Teilnahme infrage gestellt hat?

Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:

Ich antworte auf Teil eins der dringlichen Frage der Kollegin Dagdelen, inwieweit deutsche Kommandostäbe an dem NATO-Angriff auf pakistanische Stellungen in der Nacht zum Samstag, dem 26. November 2011, beteiligt waren bzw. ob Deutsche Kenntnis davon hatten. An der Operation vom 26. November 2011 waren weder deutsche Stäbe beteiligt, noch hatten deutsche Soldaten Kenntnis davon.

Herr Präsident, Teil zwei der Frage beantworte ich mit dem Hinweis, dass dieser Teil in die Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern fällt. Der Kollege Dr. Schröder wird die Antwort darauf übernehmen.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Jetzt zunächst einmal der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schröder. – Bitte schön.

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Auf der Grundlage polizeilicher und nachrichtendienstlicher Erkenntnisse muss auch weiterhin von einer intensivierten Gefährdung durch den internationalen islamistischen Terrorismus ausgegangen werden, die sich jederzeit in Form von Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen jeglicher Intensität gegen Ziele sowohl mit geringem als auch mit hohem Symbolwert realisieren kann. Aufgrund ihres Symbolcharakters und der hochrangigen Teilnehmer dürfte die Afghanistan-Konferenz ein solches Anschlagsziel darstellen. Hinweise auf eine konkrete Gefährdung der Veranstaltung liegen den Bundessicherheitsbehörden gleichwohl aktuell nicht vor.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dagdelen.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich nehme zur Kenntnis, dass die Bundesregierung hier behauptet, keine Kenntnis von einer deutschen Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen NATO-Angriff gehabt zu haben. Das klingt, angesichts der deutschen Präsenz in den NATO Stäben wohlgemerkt, höchst unglaubwürdig. Offensichtlich hat aber Pakistan hierzu andere Informationen und hat seine Teilnahme an der Petersberg-II-Konferenz, bei der es auch um die dauerhafte Stationierung von NATO Soldaten in Afghanistan bis 2024 und darüber hinaus gehen soll, abgesagt. Die Absage der Teilnahme an dieser Konferenz durch Pakistan, zu der auch etliche Kriegsverbrecher nach Bonn eingeladen worden sind, ist offensichtlich durch den Angriff der NATO auf die Stellungen in Pakistan bedingt.

Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Absage Pakistans auch mit diesem NATO-Angriff zu tun hat? Ist der Bundesregierung irgendetwas von pakistanischer Seite bekannt, dass dieser Angriff in Pakistan irgendwie zum Thema gemacht worden ist?

Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:

Frau Kollegin, nicht ohne vorher Ihre diversen rechtsbewertenden Unterstellungen in Ihrer Frage zurückgewiesen zu haben, darf ich Ihnen versichern, dass sich natürlich die gesamte Bundesregierung um Ihre Frage bemühen und Antworten geben wird. Was die Zuständigkeit der Ressorts angeht, ist für die Frage der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg das Auswärtige Amt federführend.

Herr Präsident, ich würde deswegen gerne an Herrn Staatsminister Hoyer zur Beantwortung dieser Zusatzfrage weitergeben.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Bitte schön, Herr Kollege Hoyer.

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident! Frau Kollegin Dagdelen, es ist in der Tat so, dass wir mit Bedauern Medienberichte zur Kenntnis genommen haben, die zum Inhalt haben, dass Pakistan der Afghanistan-Konferenz fernbleibt. Nach diesem Vorgang hat es eine Sitzung sowohl des Defense Committee of the Cabinet als auch der Regierung selbst gegeben, in der diese Frage wie auch andere Konsequenzen, die Pakistan zunächst einmal gezogen hat, eine Rolle gespielt haben.

Allerdings haben wir nach intensiven Bemühungen ausdrücklich keine offizielle Absage der pakistanischen Regierung. Solange wir noch einen Hoffnungsschimmer sehen, dass sich Pakistan beteiligen könnte, werden wir auf allen Ebenen der Bundesregierung und auch mit unseren Partnern daran arbeiten, zu versuchen, die Pakistani davon zu überzeugen, dass es Sinn macht, an dieser Konferenz teilzunehmen, welche wiederum selber auf jeden Fall ihren Sinn nicht dadurch verliert, dass Pakistan möglicherweise nicht kommt. Denn Pakistan hat sich ausgesprochen konstruktiv an dem einen großen Bereich, nämlich der Istanbul-Konferenz, bei der es um die regionale Zusammenarbeit geht, beteiligt und wünscht ausdrücklich – auch in der Kommunikation der Regierung, auf die ich eben Bezug genommen hatte – den Erfolg dieser Konferenz in Bonn.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Ihre zweite Nachfrage. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Lieber Herr Hoyer, Sie wünschen den Erfolg dieser Konferenz. Die Friedensbewegung und auch die Linke wünschen eigentlich keine Konferenz kolonialistischer Manier, die Tausende Kilometer von Afghanistan entfernt über die Menschen und auch die Zukunft dieses Landes nach zehn Jahren noch einmal entscheidet. Die Bilanz nach zehn Jahren ist katastrophal; das sehen wir. Insoweit werden wir natürlich gegen diese Konferenz demonstrieren.

Ich komme zu meiner zweiten Frage – Sie selbst haben es schon angesprochen –: Rupert Neudeck und viele andere sprechen nach der Absage Pakistans – Sie sagen, offiziell gebe es noch keine Absage; in Pakistan selber wird verlautbart, dass es eine Absage gibt – davon, dass es nur noch – ich zitiere – eine „halbe Konferenz" ist, da die Hälfte der Akteure, die wichtig sind, überhaupt nicht anreisen wird.

(Signalton)

Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund das Ziel, dauerhaft Soldaten in Afghanistan mithilfe Pakistans zu stationieren, das mit der Konferenz verbunden war, und auf der Konferenz Einigung herzustellen, wenn Pakistan nicht anwesend sein wird?

(Signalton)

Glauben Sie, dass es vor diesem Hintergrund nicht richtig wäre, von dieser Konferenz abzusehen und sie abzusagen?

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Kennen Sie eigentlich die Bedeutung der Glocke?
– Gegenruf der Abg. Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Nicht so vorlaut!)

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Frau Kollegin, ich beziehe mich zunächst einmal auf die wunderschöne Formulierung des Kollegen Schmidt zu Beginn seiner Beantwortung Ihrer ersten Nachfrage und distanziere mich von Ihren bewertenden Bemerkungen bezüglich der Konferenz. Wir halten diese Konferenz für ausgesprochen sinnvoll. Deutschland leistet einen großen Beitrag zur Zukunft Afghanistans, und wir tun das mit großem Engagement und mit großem Stolz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist die größte Veranstaltung dieser Art, die in Deutschland jemals organisiert und geschultert worden ist, und die lassen wir uns nicht zerreden.

(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Tausende Zivilopfer!)

Wir würden uns freuen, wenn die Pakistani kämen. Ich sage ausdrücklich, dass ich dem von mir sehr geschätzten Rupert Neudeck widersprechen muss, wenn er von einer „halben Konferenz" spricht. Auch die Beteiligung Pakistans an der langfristigen Problemlösung in Afghanistan ist nach dem, was wir bisher wissen, gewährleistet. Nach dem ausdrücklichen Wunsch, den die Pakistanis uns übermittelt haben, nämlich dass sie dieser Konferenz einen großen Erfolg wünschen, gehe ich davon aus, dass wir weiterhin auf die Zusammenarbeit mit Pakistan setzen können.