Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermöglichen
Wir beraten vorliegend einen Antrag meiner Fraktion, weil die seit Ende August 2007 geltende Neuregelung, wonach im Rahmen des Ehegattennachzugs bereits vor der Einreise deutsche Sprachkenntnisse nachzuweisen sind, zu einer erheblichen Einschränkung des Ehegattennachzugs geführt hat.
2008 lag die Zahl der zum Ehegattennachzug erteilten Visa um 22 Prozent unter dem Wert von 2006. Direkt nach Inkrafttreten der Neuregelung gab es einen drastischen Einbruch der Visumzahlen um weltweit 40 Prozent. Bezogen auf die Türkei gar um 67,5 Prozent.
Und es ist nicht hinnehmbar, dass die Bundesregierung die Betroffenen dafür verantwortlich macht. Nicht anders ist die Bemerkung der Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage mit der Drucksachennummer 17/1112 zu verstehen. Laut Bundesregierung haben sich diejenigen, die die Deutsch-Prüfung im Ausland nicht bestanden haben, oftmals einfach nicht ausreichend auf die Prüfung vorbereitet. Das ist eine Unverschämtheit! Und es ist der gezielte Versuch, über die eingeführten diskriminierenden Regelungen zum Ehegattennachzug hinweg zu täuschen und die bestehenden Probleme auf die Betroffenen abzuwälzen.
Ließen sich die geforderten Sprachkenntnisse leicht und schnell erwerben, hätte die Zahl der erteilten Visa im 1. Quartal 2008, d.h. vier bis sieben Monate nach Inkrafttreten der Regelung, in etwa wieder dem Wert von vor der Gesetzesänderung entsprechen müssen, tatsächlich aber lag sie immer noch um mehr als 30 Prozent darunter. Nur 64 Prozent aller Prüfungsteilnehmenden weltweit bestanden im Jahr 2009 den Deutsch-Test, der Voraussetzung für den Ehegattennachzug ist. Nicht erfasst wird dabei, wie viele Versuche die Betroffenen unternehmen mussten, um den Sprachtest zu bestehen. Vermutlich schafft nur etwa die Hälfte aller nachzugswilligen Ehegatten die Hürde des Sprachtests im ersten Anlauf.
Problematisch ist auch, dass die Erfolgsausschichten, den Sprachkurs zu bestehen, dann größer sind, wenn Kurse am Goethe-Institut absolviert wurden. Doch viele Betroffene haben keinen Zugang zu einem Sprachkurs eines Goethe-Instituts im Ausland. Viele können sich diesen auch schlicht nicht leisten. Denn um Sprachkurse besuchen zu können, müssen die Betroffenen oftmals in weiter entfernte Städte reisen, sie müssen sich dort eine Unterkunft nehmen und können in der Zeit des Spracherwerbs nicht erwerbstätig sein. Besonders prekär ist die Situation in Afrika, Asien und Lateinamerika.
Für die Bundesregierung aber ist all dies zumutbar. Vermutlich hält es die Bundesregierung auch für zumutbar, unter Brücken schlafen zu müssen, wenn das Geld für Übernachtungsmöglichkeiten nicht ausreicht.
All das ist wenig überraschend! Denn das Ziel der Neuregelung ist die soziale Selektion beim Ehegattennachzug und der Ausschluss so genannter bildungsferner und sozial ausgegrenzter Menschen. Diese Selektionswirkung wurde von der Bundesregierung sogar mehr oder weniger eingeräumt. So hält sie finanzielle Belastungen in Höhe mehrerer Tausend Euro aufgrund von sich hinziehenden Visumverfahren ausdrücklich für zumutbar, sehen sie dazu die Bundestagsdrucksache 16/10732, Fragen 11 und 15. Die vorgegebenen Ziele einer angeblichen Bekämpfung von Zwangsverheiratungen oder einer Förderung der Integration können nach Auffassung aller fachkundigen Verbände mit Sprachtests im Ausland gar nicht erreicht werden. Im Gegenteil dürfte sich der Druck auf Zwangsverheiratete im Ausland häufig sogar noch vergrößern, und die Integration in Deutschland wird durch die Hürde des Spracherwerbs im Ausland ganz klar behindert und verzögert.
Die Bundesregierung täuscht aber nicht nur die Öffentlichkeit, indem sie den Betroffenen die Verantwortung für ihre Situation zuschiebt. Sie täuscht die Öffentlichkeit überdies in dem Sinne, dass sie eine nach Angaben der Bundesregierung bereits im Jahr 2009 fertig gestellte Evaluierung der Auswirkungen der Neuregelung der Sprachnachweise beim Ehegattennachzug nicht veröffentlicht. Dabei handelt es sich nicht einmal um eine unabhängige Evaluierung, sondern um eine interne Bewertung. Doch vermutlich passen der Bundesregierung die Fakten nicht ins politische Konzept und lassen sich kaum beschönigen. Denn selbst im Rahmen einer vom Ministerium veranlassten Evaluierung dürfte die Notwendigkeit zumindest einer Härtefallregelung für Ausnahmefälle offenkundig geworden sein. Eine solche Härtefallregelung als Minimallösung, wie von der FDP noch vor kurzem im Parlament gefordert wurde, wird aber von der CDU/CSU abgelehnt.
DIE LINKE hat die Neuregelung von Beginn an als eine verfassungswidrige Einschränkung des Familiennachzugs und eine Selektion nach Nützlichkeitskriterien abgelehnt. Verfassungs- und europarechtliche Bedenken wurden auch von zahlreichen Sachverständigen im Rahmen der Anhörung zum EU-Richtlinienumsetzungsgesetz im Innenausschuss des Bundestages 2007 vorgetragen. Die Verwirklichung eines Grundrechts darf nicht vom Geldbeutel der Betroffenen oder ihrer Fähigkeit zum Fremdsprachenerwerb abhängig gemacht werden.
Völlig unverständlich ist, warum das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zum Ehegattennachzug vom 30. März 2010 die europarechtlichen Fragen nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung und Entscheidung vorgelegt hat. Nicht nachvollziehbar ist auch, dass sich das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis über die inhaltlichen Argumente und mühsam dokumentierten Einzelfälle hinwegsetzt, die die Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit der Neuregelung belegen. Statt dessen wurde offenbar unkritisch die durch nichts zu belegende Behauptung der Großen Koalition einer angeblich beabsichtigten Verhinderung von Zwangsverheiratungen und Erleichterung der Integration übernommen.
Tatsächlich ist die Regelung familienfeindlich, diskriminierend und sozial selektierend. Für die Betroffenen ist sie mit einer Zwangstrennung auf unbestimmte Zeit, erheblichen Kosten und psychischen Belastungen verbunden.
DIE LINKE ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass die Regelung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt und mit Art. 6 des Grundgesetzes unvereinbar ist. Und damit stehen wir nicht alleine.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund bewertete in einer Stellungnahme die Neuregelung als nicht zu akzeptierende soziale Selektion. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte in seiner Bilanz vom 27.8.2009 „Ein Jahr nach der Reform des Zuwanderungsgesetzes" die Abschaffung der Nachweispflicht von einfachen Sprachkenntnissen als Voraussetzung für den Ehegattennachzug. Es handele sich um eine soziale Selektion, „die mit dem grundgesetzlich geschützten Recht auf Ehe und Familie nicht vereinbar" sei.
Selbst der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes und ehemalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) forderte in einem Brief vom 9.10.2008 an den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble aufgrund der Erfahrungen des DRK mit der Neuregelung eine Ausnahme- bzw. Härtefallregelung bis hin zur Rückgängigmachung der Gesetzesverschärfung.
In unserem Antrag fordert DIE LINKE eine sofortige Rücknahme der diskriminierenden Beschränkungen des Ehegattennachzugs. Das Parlament sollte im Interesse der Menschen nicht darauf warten, dass uns der Europäische Gerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht diesen Job abnimmt. Aus all diesen sowie weiteren Gründen und Erfahrungen haben wir unseren Antrag eingebracht. Es muss Schluss sein mit der für alle offensichtlichen Diskriminierung. Deshalb bitten wir um Unterstützung des Antrages.