Ein bisschen mehr Reisefreiheit
Sabine Rennefanz
Ein Familienbesuch ist für viele Menschen eine anstrengende Angelegenheit. Für Türken, deren Eltern und Verwandte in Deutschland leben, gilt das ganz besonders. Während Deutsche einfach mit dem Personalausweis in die Türkei einreisen können, müssen Türken eine komplizierte bürokratische Prozedur über sich ergehen lassen. Wer nicht über den begehrten grünen Pass verfügt, den Staatsbeamte besitzen, sondern nur den grauen Durchschnittspass vorweisen kann, muss beim deutschen Konsulat viele Papiere vorlegen: eine Verpflichtungserklärung der Verwandten oder Einladenden aus Deutschland, die finanziell für den Gast bürgen, aber auch Formulare, die belegen, dass man nicht illegal bleiben will. Dazu dann noch Grundbuchauszüge, Sparbücher oder Einkommensnachweise. Wer arbeitslos ist, bekommt kein Visum. "Es ist die reine Schikane, viele unserer Freunde wollen gar nicht mehr kommen", sagt eine Deutschtürkin aus Berlin-Kreuzberg.
Mit der Schikane, die viele Türken empfinden, könnte demnächst Schluss sein, zumindest bei Besuchen von maximal drei Monaten Dauer. Eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hat ergeben, dass sich türkische Staatsbürger auf ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs berufen können. Im Februar hat ein türkischer Kläger namens Soysal durchgesetzt, dass er als Lkw-Fahrer, der regelmäßig beruflich nach Deutschland muss, kein Visum braucht. Das Gericht stellte klar, dass die 1980 in Deutschland eingeführte Verschärfung der Visumspflicht dem Grundsatz widerspricht, dass die Einreisebestimmungen nicht schärfer sein dürfen als vor 1973. Damals wurde der Türkei der EU-Beitritt in Aussicht gestellt, es wurde ein Assoziierungsabkommen mit der EU abgeschlossen. Im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit wären somit die alten Regeln gültig.
Die Frage ist nun, wer diese Freiheit in Anspruch nehmen darf. Nur der Lastwagenfahrer, also der Erbringer einer Dienstleistung? Oder auch der Tourist? Der Künstler? Klar ist nur, dass der Ehegattennachzug unberührt bleibt: Türkische Partner deutscher Bürger müssen weiterhin einen Sprachtest erbringen, bevor sie überhaupt ein Visum beantragen können.
Das Urteil gelte auch für diejenigen, die Dienstleistungen in Deutschland in Anspruch nehmen: Touristen und Geschäftsleute, aber auch Patienten, die sich im Krankenhaus behandeln lassen wollten, erklärt Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linken. "Die Bundesregierung traut sich nur nicht, dies öffentlich zu sagen." Das Außenministerium hält sich zurück. Man prüfe derzeit die Reichweite des Soysal-Urteils, sagt ein Sprecher.