Einbürgerungen erleichtern – Optionspflicht abschaffen
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren – Mehrfache bzw. doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen (BT-Drs. 17/7654)
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich habe mich gefragt, warum die SPD diesen Antrag kurz nach der Beratung im November jetzt noch einmal eingebracht hat. Man kommt zu dem Schluss: Nur der stete Tropfen höhlt den Stein. Das Problem ist: Hier geht es nicht um einen Stein; das ist anscheinend ein Fels, an dem man wirklich viele Jahre knacken muss, damit man ein so unsinniges Gesetz kippen kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Denn anders kann ich mir diese ideologische Borniertheit der CDU/CSU und der FDP nicht erklären, vor allen Dingen auch deshalb nicht, weil ich von der FDP erkennbar auch andere Stimmen zur Kenntnis nehme. So hat zum Beispiel die FDP im Niedersächsischen Landtag eine komplett andere Position und sagt in ihrem Papier zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik, dass die Situation in Niedersachsen unerträglich sei. Sie sagt, der Umgang mit türkischen Staatsangehörigen sei nicht hinnehmbar. Ihnen werde in Niedersachsen die Mehrstaatigkeit verweigert, und auch die Optionspflicht sei unerträglich. Deshalb müsse eine bundeseinheitliche Änderung vorgenommen werden. Ich wünsche mir, dass man diesen Kolleginnen und Kollegen und auch dem Doppelstaatler, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten McAllister von der CDU, entgegenkommt und sagt: Wir schaffen diese blöde Optionsregelung ab.
Herr Mayer, Sie haben gesagt, in Ausnahmefällen gibt es in Deutschland die Mehrstaatigkeit. Demgegenüber muss ich Sie daran erinnern, dass die Mehrstaatigkeit in Deutschland längst Realität und allgemeine Praxis ist. Über 57 Prozent aller Eingebürgerten in Deutschland sind Doppelstaatler. Das sind über 4,5 Millionen Menschen.
(Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Dann müssen wir doch gar nichts ändern!)
Das sind doch dann in Deutschland überhaupt keine Ausnahmen, sondern das ist längst Praxis. Deshalb fragt man sich: Was ist eigentlich Ihr Problem mit der Optionspflicht und der generellen Hinnahme der Mehrstaatigkeit? Dazu muss ich sagen: Offensichtlich geht es Ihnen um etwas anderes. In Ihrer Rede haben Sie die Scharia erwähnt; ich wüsste nicht, welche Bundestagsfraktion die Einführung der Scharia gefordert hat. Sie versuchen hier, einen Popanz aufzubauen.
(Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Der Justizminister aus Rheinland-Pfalz hat das letzte Woche doch gefordert!)
– Hier im Bundestag in dieser Diskussion heute hat niemand die Scharia gefordert, Herr Mayer.
(Zuruf des Abg. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU))
Nehmen Sie das zur Kenntnis! Das ist die Realität. Ich weiß nicht, wovon Sie nachts träumen.
(Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Ich träume von anderen Dingen!)
Dies hat hier jedenfalls nicht stattgefunden, Herr Mayer.
Was ist das Problem? Offensichtlich geht es Ihnen um die Verhinderung der Einbürgerung von Türkinnen und Türken in Deutschland. Anders sind die unterschiedlichen Quoten der einzelnen Bundesländer trotz bundeseinheitlicher Rechtsgrundlagen nicht zu erklären.
(Beifall bei der LINKEN – Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Eine boshafte Unterstellung!)
Die Quote der akzeptierten Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungen beträgt bundesweit über 53 Prozent. Bei türkischen Staatsangehörigen liegt sie bei nur 28 Prozent. Das heißt, Mehrstaatigkeit wird bei nichttürkischen Staatsangehörigen in Deutschland mehr als doppelt so häufig akzeptiert als bei türkischen.
Kommen wir einmal zu Ihrem Bundesland, zu Bayern. In Bayern wird die doppelte Staatsangehörigkeit gerade einmal zu 3,7 Prozent anerkannt. Das waren im Jahre 2010 ganze 78 Personen.
(Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Wir halten uns an Recht und Gesetz! – Gegenruf des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die anderen nicht?)
Die Doppelstaatlerquote nichttürkischer Staatsangehöriger beträgt in Bayern 64,5 Prozent. Die gezielte Einbürgerung zum Beispiel türkischer Staatsangehöriger wird extrem erschwert. Diese ausgrenzende Praxis, die gezielte Verweigerung der Einbürgerung vor allem türkischer Staatsangehöriger – dies geschieht besonders in Bayern, aber auch zum Beispiel in Baden-Württemberg -,
(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ändert sich da jetzt! Die haben eine türkischstämmige Ministerin!)
trägt zu dieser extremen Einbürgerungsquote bei. Ja, das ist so. Ich finde, das ist ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Diese Menschen haben einen Anspruch auf Einbürgerung. Es handelt sich um bundeseinheitliche Gesetze. Diese Menschen wollen deutsche Staatsangehörige und nicht irgendwelche Bayern werden. Es darf nicht anhand irgendwelcher bayerischen Maßstäbe entschieden werden, ob ihnen die Staatsangehörigkeit gegeben wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Nun hören Sie aber mit Bayern auf! – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht ganz Bayern beschimpfen! Nur die Regierung! – Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Diese Unverschämtheit! Immer wieder das Gleiche!)
Insofern kann ich nur an Sie appellieren: Hören Sie in diesem Land mit Ihrer Türkenfeindlichkeit auf! Hören Sie damit auf, trotz bundeseinheitlicher Rechtsgrundlagen unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen! Das ist überhaupt nicht tragbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich meine, es ist auch nicht zeitgemäß, dass das Staatsangehörigkeitsgesetz so rigide ist. Es geht nicht nur um die Optionspflicht. Das ist unsere Kritik an dem Antrag der SPD: Sie glauben, durch die Abschaffung der Optionspflicht wäre das Thema gegessen. – Wir haben seit der Reform von 1999 eine Trendwende; die Zahlen der Einbürgerungen sind in den letzten zehn Jahren gesunken, und sie werden nicht besser. So werden wir das Demokratiedefizit – dies hat auch das Bundesverfassungsgericht konstatiert – bei der Problematik nicht beseitigen, dass Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, ausgegrenzt werden, indem sie nicht an Wahlen teilnehmen können. Dieses Problem werden wir nicht allein dadurch beheben, dass wir die Optionspflicht abschaffen. Dazu müssen wir zum Beispiel die Voraussetzungen für Einbürgerungen ändern.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Wir müssen zum Beispiel die Vorgabe bezüglich der Aufenthaltsdauer ändern. Fünf Jahre reichen. Warum sollen es sechs oder sieben Jahre sein? Warum bleiben wir nicht bei den einfachen Sprachkenntnissen als Voraussetzung, wie es früher der Fall war? Vor allen Dingen: Warum verzichten wir nicht komplett auf die Einbürgerungsgebühren oder senken sie insoweit, dass wir nur einen symbolischen Betrag verlangen?
Vizepräsident Eduard Oswald:
Ich darf Sie wirklich bitten, auf die Redezeit zu achten.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Geduld und das Verständnis.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)