Einbürgerung erleichtern, Diskriminierung beenden
Rede am 22. September 2016 anlässlich der Debatte am 23. September 2016 zur Erleichterung der Einbürgerung und zur Ermöglichung der mehrfachen Staatsangehörigkeit
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Mayer, die allermeisten in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten sind loyaler gegenüber dieser Gesellschaft und dem Grundgesetz
(Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als die Bayern!)
als der Nazimob, der Flüchtlinge durch die Straßen jagt und Unterkünfte in Brand steckt, oder CSU-Politiker, die über ministrierende, fußballspielende Senegalesen in unserer Gesellschaft schwadronieren. Das ist nicht loyal gegenüber unserer Gesellschaft, Herr Kollege Mayer.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie spalten die Gesellschaft! – Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Entschuldigen Sie sich dafür!)
Zur Redlichkeit gehört, zum Thema zu sprechen. Warum sprechen Sie, wenn mein Kollege Volker Beck von Einbürgerungsoffensive spricht, von Einwanderungsoffensive? Sie bauen hier einen Pappkameraden auf, um Stimmung gegen das Thema Einbürgerung zu machen. Hören Sie mit solchen unfairen Sachen auf!
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit (SPD) ‑ Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Nein, das ist falsch!)
Wir sprechen hier über Einbürgerung. Das Gleiche gilt für Ihre Stimmungsmache gegen Russlanddeutsche. Wahrscheinlich wissen Sie gar nicht, worüber wir hier reden. Wir sprechen über Einbürgerung. Russlanddeutsche sind doch gar nicht eingebürgert worden. Wo leben Sie überhaupt? Haben Sie überhaupt Ahnung von diesem Thema?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unerträgliche Arroganz!)
Russlanddeutsche haben die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Da spielt Einbürgerung keine Rolle.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Fangen Sie noch mal neu an, und lassen Sie die Arroganz weg! Unglaublich!)
Lernen Sie dazu, bevor Sie über dieses Thema sprechen, und machen Sie nicht einfach Stimmung gegen dieses Thema!
Sie haben gesagt, dass die deutsche Sprache erlernt werden muss. Ich kann Sie beruhigen: Sie sind seit 2005 in der Bundesregierung, nicht wir.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Gott sei Dank!)
Gemäß der Schlagzeile in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung hat nicht einmal jeder Zweite einen Platz in einem Integrationskurs.
Das ist Ihre desaströse Bilanz in der Integrationspolitik. Sie sind es, die die Plätze nicht zur Verfügung stellen. Wir haben seit 2005 die Integrationskurse, und seit 2005 gibt es mehr Anfragen nach diesen Kursen, als es Plätze gibt, und das wissen Sie. Also schaffen Sie ausreichend Plätze, wenn Sie von den Menschen möchten, dass sie die deutsche Sprache erlernen! Machen Sie hier keine Stimmung!
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte noch etwas zum Thema Loyalität und Loyalitätsappelle hinzufügen. Ich finde es wirklich absurd: Während die Bundeskanzlerin von den hier lebenden Deutschtürken Loyalität fordert, macht sie gemeinsame Sache mit dem türkischen Despoten Erdogan, der mithilfe seines Netzwerks alles tut, um die Integration hier lebender Deutschtürken zu hintertreiben. Fragen Sie doch lieber Ihre Kanzlerin, was sie dafür tut, um die Integration hier zu hintertreiben!
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Was erzählen Sie denn da? Also lieber Flüchtlinge im Mittelmeer sterben lassen und Flüchtlingskriminalität zulassen? Das ist doch lächerlich, was Sie hier erzählen! Sie haben doch keine Ahnung!)
Sie sollte damit aufhören, mit Erdogan gemeinsame Sache zu machen, weil es sein Netzwerk ist, das die Menschen hier von der Integration abhält und dagegen Stimmung macht. Das wäre ein Beitrag zur Integration statt der Zusammenarbeit mit einem Despoten. Hören Sie auf mit Appellen zur Loyalität, während Sie das Ganze dadurch hintertreiben, dass Sie gemeinsame Sache machen!
Wir, die Linksfraktion, jedenfalls unterstützen den vorliegenden Antrag der Grünen, weil die Erleichterung der Einbürgerung in dieser Gesellschaft längst überfällig ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer auf Dauer in Deutschland lebt, soll auch gleichberechtigt am politischen Leben teilhaben können und darf im Berufsleben nicht benachteiligt werden. Hier lebende Migrantinnen und Migranten dürfen nicht länger Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sein, egal seit wann sie hier leben und arbeiten. Wer hier lebt und arbeitet, wer hier zur Schule geht oder gegangen ist, eine Ausbildung gemacht oder eine Universität besucht hat, aber keinen deutschen Pass hat, darf beispielsweise nicht verbeamtet werden oder ein Schöffenamt übernehmen. Das sind nur zwei Diskriminierungsbeispiele dafür, warum die erleichterte Einbürgerung längst überfällig ist.
Die Integrationsbeauftragte Ihrer Bundesregierung, Aydan Özoğuz, schätzt, dass fast drei Viertel der 7,6 Millionen Ausländer einen deutschen Pass beantragen können. Allein, das ist nicht gewollt, und die Hürden werden bewusst hoch gelegt, etwa indem unsinnigerweise gefordert wird, je nach Herkunft die Herkunftsstaatsangehörigkeit abzugeben.
Die Einbürgerungsquote in Deutschland liegt unter dem Durchschnitt der Europäischen Union. Wenn Sie dieses Land europäisieren wollen, dann müssen Sie auch die Einbürgerung erleichtern. Im vergangenen Jahr sind gerade einmal 107 000 Menschen rechtlich gleichgestellt worden. Schweden, Ungarn, Portugal, Spanien, Polen und sogar die Niederlande: Sie alle liegen in diesem Bereich punkteweit vor Deutschland.
Wenn Sie einen Schritt zu mehr Europa wollen – wenn Sie schon Europa mit der Europäischen Union gleichsetzen, wie es, meiner Meinung nach fälschlicherweise, oftmals getan wird –
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
und wenn Sie dieses Land europäisieren wollen, dann müssen Sie die Einbürgerung erleichtern. Das wäre ein Schritt zu mehr Integration, aber nicht diese Stimmungsmache in diesem Haus.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Barbara Woltmann (CDU/CSU): Wer macht denn hier Stimmung? Das sind ja wohl Sie! – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Dazu haben Sie mächtig beigetragen!)