Erdogan lässt Kritiker in Deutschland suchen

Von Sevim Dagdelen

Die Türkei versucht seit dem Putschversuch im Jahr 2016 im großen Umfang, durch die internationale Fahndungsbehörde „Interpol“ wie auch über Rechtshilfe- und Auslieferungsersuchen politische Kritikerinnen und Kritiker auch im Ausland massiv zu verfolgen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage „Ermittlungen und Rechtshilfe im Auftrag der Türkei“ (Bundestagsdrucksache 19/8059) hervor.

Vom Putschversuch am 15. Juli 2016 hat das Bundeskriminalamt (BKA) demnach von der türkischen Regierung 990 Fahndungsersuche erhalten, davon 925 zur Festnahme und 65 zur Aufenthaltsermittlung. Im vergangenen September waren es noch 848 solcher Anträge.

Unklar bleibt, wie viele der Fahndungsersuche in Deutschland lebende Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit betrafen. Die Bundesregierung will auch nicht sagen, wie viele türkische Fahndungsersuche Interpol unter anderem mit Verweis auf Artikel 3 der Organisation abgelehnt hat. Der Artikel schließt eine internationale Fahndung über Interpol aus, wenn ein Mitgliedstaat seine Bürger aus politischen Gründen im Ausland festsetzen lassen will. Genau diese Information verweigert die Bundesregierung aber mit Hinweis auf „Interessen des Staatswohls“.

Gleichzeitig scheint das Zutrauen in den türkischen Rechtsstaat immer mehr zu schwinden, was daran deutlich wird. dass die deutschen Behörden im vergangenen Jahr und bislang auch in 2019 keinem Auslieferungsersuchen Ankaras mehr zugestimmt und geforderte Auslieferungen verweigert haben. Laut Bundesregierung hat die Führung in Ankara im vergangenen Jahr insgesamt 64 Auslieferungsersuchen an Deutschland gestellt. 2019 waren es bislang zwölf.

Der türkische Geheimdienst MIT ist auch in Deutschland hoch aktiv. In den vergangenen zehn Jahren hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof insgesamt 23 Ermittlungsverfahren „wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit für türkische Geheimdienste“ mit Bezug zur Türkei geführt – allein 13 davon entfielen auf das Kalenderjahr 2017. Im vergangenen Jahr waren es drei. Dabei handelte es sich um aus der Türkei entsandte Imame der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB). Die Verfahren gegen die Spitzel-Imame wurden eingestellt, unter anderem, weil sich die Beschuldigten in die Türkei absetzen konnten.

Die Verfolgung deutscher Staatsbürger in der Türkei hält, auch das geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor, an. Mit Stand Anfang März sind dem Auswärtigen Amt insgesamt 38 Fälle deutscher Staatsangehöriger bekannt, die mit Ausreisesperren belegt sind und die Türkei nicht verlassen dürfen. In 80 bekannt gewordenen Fällen hat die Türkei deutschen Staatsangehörigen im vergangenen Jahr die Einreise verweigert.

Die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei in Deutschland ist seit dem Putschversuch 2016 stark anstieg. Im Januar haben die deutschen Behörden 851 Schutzsuchende aus der Türkei registriert, im Februar waren es 702. Etwa jeder zweite erhält hierzulande Schutz.

Diese Zahlen unterstreichen einmal mehr, dass der NATO-Partner Türkei in den islamistischen Unterdrückungsstaat marschiert. Die Bundesregierung darf die Türkei nicht länger mit Waffenexporten stützen. Notwendig ist ein Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen, damit Erdogan nicht weiter auf millionenschwere Finanz- und Kredithilfen aus der EU bauen kann. Die ungebrochene Unterstützung der Despotie Erdogans ist mit der europäischen Idee unvereinbar.


Kleine Anfrage „Ermittlungen und Rechtshilfe im Auftrag der Turkei“

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