EU-Mauern wegzensiert

Arnold Schölzel

Am Montag feierte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) die DDR-Grenz­öffnung vor 20 Jahren beim »Fest der Freiheit«. Am Dienstag kündigte er im Bundestag an, daß er die »geschichtliche Aufarbeitung der SED-Diktatur« verstärken werde, wegen »leider immer mehr« Tendenzen, »das Unrecht in der DDR zu beschönigen oder zu verharmlosen«. Zugleich lobte er seine Politik der vergangenen vier Jahre unter der Koalitionsüberschrift »Leistung muß sich wieder lohnen« und teilte mit, daß Künstler in der Bundesrepublik im Durchschnitt 10000 bis 12000 Euro jährlich verdienen. Am Mittwoch berichtete die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vorab: »Staatsminister Bernd Neumann hat eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin zensieren lassen. Wie ein Sprecher des Museums gegenüber der Zeit bestätigte, war kurz vor der Eröffnung der Ausstellung ›Fremde? Bilder von den Anderen in Deutschland und Frankreich seit 1871‹ eine große Texttafel auf Wunsch des Kulturstaatsministers ausgetauscht worden. Das Ministerium lieferte auch die neue Formulierung.«

Der vom Museum ursprünglich vorgesehene Text hatte demnach mit den Sätzen geendet: »Neue Gesetze über Staatsangehörigkeit und Zuwanderung schufen erst seit der Jahrtausendwende die neuen Rechtsgrundlagen. Während innerhalb Europas die Grenzen verschwinden, schottet sich die Gemeinschaft der EU zunehmend nach außen ab. Die Festung Europa soll Flüchtlingen verschlossen bleiben.« In der nun ausgestellten Version wurden die letzten beiden Sätze gestrichen und durch folgenden Satz ersetzt: »Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert seitdem staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland.«

Die Zeit zitierte Dieter Gosewinkel vom Wissenschaftszentrum Berlin, der als Geschichts- und Rechtswissenschaftler im wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung sitzt, mit den Worten: »Der Ausstellungstext hatte ursprünglich eine ganz andere Aussage. Eine Aussage, die nicht aus wissenschaftlichen Gründen korrigiert, sondern aus politischem Kalkül gestrichen wurde.«

Die kulturpolitische und die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Luc Jochimsen und Sevim Dagdelen, nannten Neumanns Vorgehen in einer gemeinsamen Erklärung einen Skandal und forderten ihn auf, die Zensur zurückzunehmen. Die beiden Politikerinnen kommentierten den Vorgang mit den Worten: »Während Regierungspolitiker den Fall der Mauer und das Ende der Zensur bejubeln, darf das Deutsche Historische Museum nicht über die neuen Mauern Europas reden und wird zensiert. Die Abschottungspolitik der EU soll verschwiegen werden, denn wer darüber spricht, kommt an den Folgen nicht vorbei. Während als Ergebnis rigider Abschottungspolitik die Zahl der Asylanträge europaweit sinkt, werden die Ägäis, der Kanal von Sizilien, die Meerenge von Gibraltar und die See um die Kanarischen Inseln zum Grab für Tausende.«

Neumanns Sprecher ließ am Mittwoch ausrichten: »Eine Zensur hat überhaupt nicht stattgefunden.« Und der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Hans Ottomeyer, beteuerte, wie immer vor solchen Terminen habe er Neumanns Referat die Ausstellungstexte zur Verfügung gestellt. Berechtigte Rückfragen habe er zum Anlaß genommen, »in eigener Verantwortung Modifizierungen vorzunehmen«. Für die entsprechenden Hinweise sei er »dankbar« gewesen. Eine politische Einflußnahme oder Zensur habe »zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.« So wie es Tote an Grenzen nur im Osten gab.