Friedensfrage mit sozialer Frage verbinden

Antikriegspolitik im Bundestag: „Runder Tisch Friedensbewegung 2022“ der Fraktion DIE LINKE

Nach zwei Jahren Corona-Unterbrechung haben sich Aktive der Friedensbewegung und Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE wieder im Deutschen Bundestag getroffen. Mehr als 60 Interessierte sind zu einer konzentrierten wie konstruktiven Debatte zusammengekommen, die geprägt war vom Ukraine-Krieg, den Aufrüstungsvorhaben der Ampel-Regierung für die Bundeswehr und dem Wirtschaftskrieg gegen Russland, der als Bumerang zurückschlägt und Millionen Bürger wie auch unzählige Unternehmen in Deutschland zu ruinieren droht.

Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss und Sprecherin für Internationale Politik und Abrüstung, sprach von einer „historischen Verantwortung“ angesichts des Krieges Russlands in der Ukraine, „den wir, wie jeden anderen völkerrechtswidrigen Krieg natürlich verurteilen und der so schnell wie möglich beendet werden muss“. Es sei offensichtlich, dass der Krieg in der Ukraine mittlerweile zum Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland auf ukrainischem Boden geworden ist. „Und es ist bestürzend, mit welcher Vehemenz und mit welchem Moralismus seitens der Ampel-Regierung, und hier vorneweg die Grünen, der Lieferung immer weiterer Waffen und Wirtschaftssanktionen das Wort geredet wird.“

Sevim Dagdelen (MdB DIE LINKE)

Dagdelen verwahrte sich dagegen, dass Linke und Friedensaktivisten, die sich gegen Waffenlieferungen und für eine diplomatische Lösung aussprechen, die die verheerenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland ablehnen, die die große Mehrheit der Bevölkerung schlimm treffen, als „Kreml-Trolle“ oder „Putin-Sprechpuppen“ (taz) diffamiert werden. „Wir dürfen uns davon nicht beeindrucken und kleinkriegen lassen“, bekräftigte die Abgeordnete unter dem Applaus der Anwesenden wider die Logik des deutschen Militarismus, der zufolge jeder, der nicht mit in den Krieg gegen den äußeren Feind ziehen will, zum inneren Feind erklärt und an den Pranger gestellt wird. Notwendig sei ein Zusammengehen der Friedensbewegung mit den sozialen Protesten wider die Preisexplosionen und Sanktionen.

NATO-Mitverantwortung benennen

Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen hat an die jüngsten NATO-Beschlüsse in Madrid erinnert, die neben weiteren Erhöhungen der Rüstungsausgaben rasche massive Truppenaufwüchse an den Grenzen zu Russland vorsehen. Im neuen strategischen Konzept der NATO werde Russland als „die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ definiert, die Volksrepublik China als „Herausforderung“.

Aus Tübingen zugeschaltet: Jürgen Wagner (Informationsstelle Militarisierung – IMI)

Die NATO trage Mitverantwortung für den Krieg in der Ukraine, so Wagner: „Es gab kein Appeasement gegenüber Russland vor dem Ukraine-Krieg, sondern Konfrontation.“ Der Konfliktforscher warnte vor einem neuen globalen Rüstungswettlauf. Die NATO-Staaten haben im vergangenen Jahr zusammen 1.174 Milliarden US-Dollar für Rüstung und Militär ausgegeben, Russland 62 Milliarden Euro. „Wenn ein 18:1-Verhältnis bei den Militärausgaben nicht geholfen hat, den Krieg zu verhindern, dann werden doch auch nicht 20:1 oder 25:1 helfen.“

Die „Ostflanke“ der NATO

Gegen „Dark Eagle“ mobilisieren

Lühr Henken (Bundesausschuss Friedensratschlag) verwies auf die von der Bundesregierung beschlossenen Steigerungen bei den Rüstungsausgaben in Deutschland, mit denen in Europa Großbritannien und Frankreich überflügelt werden. „Finanziert werden sollen damit gewaltige Rüstungsprojekte, die schon seit Jahren aufgelegt sind, für die es bisher nur keine Finanzierung gab. Als Argument gilt der Ukraine-Krieg, aber dafür sind die Projekte gar nicht gedacht.“ Auffallend sei das wachsende militärische Ausgreifen in den Pazifik, sowohl bei Marine und Luftwaffe als auch beim Heer – durch Teilnahme an Manövern etwa. „ Klarer Fall“, so Henken, „die Bundeswehr wird auf China ausgerichtet.“

Lühr Henken (Bundessausschuss Friedensratschlag)

Henken verwies auf eine drohende Stationierung von US-amerikanischen Hyperschallwaffen in Deutschland bereits im kommenden Jahr. Europa drohe hier ein „Déja-vù“. „Wie vor 40 Jahren die ‚Pershing II‘ sollen sie nur einem Zweck dienen, die russische Führung mit einem Enthauptungsschlag eliminieren zu können.“ „Dark Eagle“ habe 12 fache Schallgeschwindigkeit, treffe mit konventionellem Gleitsprengkopf punktgenau, sei im Flug manövrierfähig und könne bis dato nicht abgefangen werden. Das Waffensystem soll von Wiesbaden aus kommandiert werden. Die Flugzeit von deutschem Boden aus nach Moskau betrage 10 Minuten. „Das darf nicht passieren, weil es hochgradig destabilisierend in Europa wirkt und Russland geradezu zu militärischen Präventivmaßnahmen einlädt, die auf Deutschland zielen. Was wären die Folgen davon?“

Die Bevölkerung habe von diesen „US-Machenschaften“ bisher keine Ahnung und müsse seitens der Friedensbewegung und LINKEN informiert und mobilisiert werden, so Henken, der in dem Zusammenhang an die erfolgreiche Kampagne des „Krefelder Appells“ in den 1980er Jahren erinnerte.

Heißen Krieg mit China verhindern

Der Publizist Jörg Kronauer warnte ausdrücklich vor einer Konfrontation mit China. Die Volksrepublik werde bis Ende des Jahrzehnts quantitativ größte Wirtschaftsmacht sein und sei auch qualitativ in wichtigen Industriefeldern wie Robotik auf dem Weg zur Weltspitze. Über das Projekt „Neue Seidenstraße“ gewinne das Land auch politische Stärke mit wachsendem Einfluss gerade etwa in Afrika.

Per Livestream im Bundestag: Der Publizist Jörg Kronauer

Deutschland ist in einer „besonderen Lage“, so Kronauer mit Blick auf die Forderung aus den USA nach einer „Entkoppelung“ von China. Allen voran die deutsche Autoindustrie sei so eng mit der Volksrepublik verwoben, dass man auf das Geschäft schlicht nicht verzichten könne ohne selbst unterzugehen.

Der große, das Jahrhundert prägende Konflikt werde der mit China sein, zeigte sich Kronauer überzeugt. In den Mainstream-Diskussionen der USA laufe bereits alles auf einen großen Krieg hinaus. Es sei Aufgabe der Friedensbewegung, hier zu bremsen, sagte Kronauer auch mit Blick auf die wachsende deutsche Militärpräsenz in der Indo-Pazifik-Region. „Beim Ukraine-Krieg hat das nicht geklappt, bei China müssen wir uns anstrengen und einen heißen Krieg verhindern.“

Den „Elefanten im Raum“ nicht verschweigen

Reiner Braun vom Internationalen Friedensbüro ergänzte in der Diskussion, der NATO-Gipfel Ende Juni sei mit mehr als 30.000 Demonstranten auf den Straßen Madrids auch ein Gipfel des Protests gewesen. „Die NATO muss wieder in den Mittelpunkt unserer Kritik rücken, sonst werden wir weder die Hochrüstung noch die Konfrontationspolitik gegenüber Russland und China stoppen können.“

Christoph Krämer (IPPNW)  mahnte eine Präzisierung der Begrifflichkeiten an. Die westliche Strategie der systematischen NATO-Osterweiterung, noch dazu unter Einbeziehung der Ukraine, sei eine „Aggression neuen Typs“. Die im Grundgesetz festgeschriebenen 100 Milliarden Euro „Sondervermögen“ für die Bundeswehr seien „Kriegskredite. Krämer warnte vor einer „Verwechslung von Solidarität mit der Ukraine“ mit „Waffen für Selenskyj“. „Echte Solidarität heißt Rettung von Menschenleben“, so der Arzt.

Christoph Krämer (IPPNW)

An DIE LINKE adressiert appellierte Krämer, neben den Forderungen nach Entlastungen der Menschen für Gas- und andere Preissteigerungen den „Elefanten im Raum“ nicht weiter zu verschweigen: „Die Eskalation des Krieges – einschließlich des Wirtschaftskrieges gegen Russland.“ Die Preisexplosionen würden als eine Art Naturkatastrophe dargestellt, seien aber Folge politischen Handelns. Die wichtigste Maßnahme zur Entlastung der Menschen sei „das Ende der Eskalationspolitik“. Es gelte, die Friedensfrage mit der sozialen Frage zu verbinden.

Unterstützung dazu kam von Uwe Hiksch (NaturFreunde): „Die Friedensbewegung muss wieder auf Entspannungspolitik orientieren und ideologische Gräben überwinden.“

Über Beendigung des Krieges verhandeln

77 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten, „dass der Westen in der jetzigen Phase konkrete Bemühungen unternehmen solle, um Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges einzuleiten“, wie es in einer Forsa-Umfrage von Ende August heißt. „Schritte in eine solche Richtung seitens der Bundesregierung sind für mich nicht wahrnehmbar“, konstatierte Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Während im März etwa reale Verhandlungen zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine stattfanden, „zeigten die EU-Staats- und Regierungschefs und mutmaßlich die G7- und NATO-Staaten keinerlei Interesse daran“, so Hunko. Die Vermittlung des Getreideabkommens – ausgerechnet – durch die Türkei und die Uno im Juli in Istanbul sei sicher auch dadurch ermöglicht worden, dass die Türkei sich nicht am Wirtschaftskrieg beteilige.

Andrej Hunko (MdB DIE LINKE)

„Durch die Waffenlieferungen und den immer weiter eskalierenden Wirtschaftskrieg hat sich die EU, ebenso wie Deutschland, aktuell in eine Situation gebracht, in der sie als potentiell konstruktiv-vermittelnder Akteur ausfällt“, urteilte Hunko. Es komme jetzt darauf an, „diesen Eskalationsweg zu verlassen und darauf hinzuarbeiten, dass, wie es in der Forsa-Umfrage heißt, Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges möglich werden.“


Fotos: Sandra Schröpfer / Linksfraktion

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