Für die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts in der Türkei

Nachdem die SPD zu fast allen Forderungen, die sie in der letzten Wahlperiode abgelehnt hat, jetzt plötzlich eigene Anträge eingebringt, habe ich schon fast damit gerechnet, dass sie auch zur Stärkung der Gewerkschaftsrechte in der Türkei einen Antrag vorlegen wird. Aber, damit war sie wohl derzeit überfordert; muss sie doch angesichts der Landtagswahlen in NRW erst einmal ihr Herz für die Migrantinnen und Migranten wieder entdecken. Nach Jahren der Beteiligung an der Bundesregierung und einer diskriminierenden und ausgrenzenden Politik diesen gegenüber wenig verwunderlich.

Verwunderlich waren aber die Gründe, die zur Ablehnung unseres Antrages in der 16. Wahlperiode führten. So hätten wir die Zersplitterung der Gewerkschaften nicht hinreichend berücksichtigt. Aber, wobei eigentlich und weshalb hätten wir das tun sollen. Auch in unserem neuen Antrag kritisieren wir, dass die türkischen Gewerkschaften, egal ob nun staatsnah, islamisch oder revolutionär, aufgrund restriktiver gesetzlicher Regelungen nur über einen sehr eingeschränkten bzw. kaum vorhandenen legalen Handlungsspielraum verfügen. Hinzu kommen institutionelle und rechtliche Hürden, wie kostenverursachende Beglaubigungs- und Registrierungspflichten von Gewerkschaftsmitgliedern oder strenge Voraussetzungen für die Zulassung der Tariffähigkeit. Die Kritik, dass weder die Standards in der EU noch die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO in Bezug auf die uneingeschränkte Achtung der Gewerkschaftsrechte erfüllt sind, gilt formal für alle diese Gewerkschaften und deren Mitglieder. Die Einschränkungen und Verbote beim Organisations- und Streikrecht und beim Recht auf Tarifverhandlungen gelten rechtlich erst einmal für alle Gewerkschaften.

Nach Angaben des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) ist rund einer halben Million Beschäftigten in der Türkei aufgrund gesetzlicher Beschränkungen der Eintritt in Gewerkschaften untersagt. ITUC stellt in seinem Jahresbericht 2009 über die Türkei fest: „Das Koalitionsrecht, das Streikrecht und das Tarifverhandlungsrecht müssen an die EU-Standards und IAO-Übereinkommen angepasst werden. Die Bemühungen der Gewerkschaften, sich zu organisieren, werden noch immer vereitelt bzw. sind von massiven Entlassungen der Mitglieder und dubiosen Gerichtsverhandlungen und Verhaftungen der Gewerkschaftsführer begleitet. Streikende und friedliche Demonstranten sahen sich exzessiver Polizeigewalt ausgesetzt." Eine ähnliche Bilanz zog auch die Europäische Kommission im Fortschrittsbericht über den Beitritt der Türkei vom November 2008. Darin wird die Lage hinsichtlich der umfassenden Garantie der Gewerkschaftsrechte als „problematisch" bezeichnet.

Und das betrifft nicht nur nichtstaatlichen Gewerkschaften.

Bestes Beispiel sind TEKEL-Beschäftigten. Ihre Gewerkschaft Tekgida-Is ist nämlich Mitglied im Dachverband Türk-Is, die die SPD für offensichtlich weniger unterstützenswert hält. Wir solidarisieren uns mit den Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihrem Kampf um gewerkschaftliche Rechte unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in einer genehmen Gewerkschaft. Deshalb hat DIE LINKE auch den Arbeitskampf der TEKEL-Beschäftigten unterstützt. Im Rahmen einer Auslandsdienstreise besuchte ich die streikenden TEKEL-Arbeiter in der türkischen Hauptstadt. Auch während des Generalstreiks am 4. Februar 2010 stand ich an der Seite der TEKEL-Beschäftigten.

Der Fall TEKEL ist exemplarisch für die Notwendigkeit der Stärkung gewerkschaftlicher Rechte in der Türkei. Die türkische Regierung versucht nämlich, nachdem im Jahr 2006 der staatliche türkische Tabak- und Alkoholmonopol TEKEL an den Lucky-Strike-Produzenten British-American-Tobacco verkauft wurde, die Arbeiterinnen und Arbeiter im Rahmen eines so genannten Sozialplans zum Verzicht auf tarifliche Rechte wie Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu zwingen und bietet auf 10 Monate befristete Arbeitsverträge an, die eine Lohnkürzung um mehr als die Hälfte vorsehen. Und um organisierten Widerstand möglichst von vornherein auszuschließen, sieht das türkische Recht vor, Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern das Recht auf Entlassung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgrund einer Gewerkschaftsmitgliedschaft bei Zahlung von Entschädigungen einzuräumen. Das verstößt klar und eindeutig gegen das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 98 Art. 1, Abs. 2, Satz b.

Und das geht auch die Bundesrepublik an. Denn die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen und ihre Entwicklung bilden eine tragende Säule der bilateralen Beziehungen. In den letzten Jahren nahm das bilaterale Handelsvolumen in beide Richtungen deutlich zu. 2008 blieb es trotz der internationalen Finanzkrise mit 24,8 Mrd. EUR nur geringfügig unter dem Rekordwert von 2007 mit 24,9 Mrd. Euro. Deutschland stellt die größte Zahl der ausländischen Firmen, die in der Türkei Direktinvestitionen getätigt haben. Die Zahl deutscher Unternehmen bzw. türkischer Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei ist in den vergangenen Jahren auf knapp 3.955 gestiegen. Die Betätigungsfelder deutscher Unternehmen reichen von der industriellen Erzeugung und dem Vertrieb sämtlicher Produkte bis zu Dienstleistungsangeboten aller Art. Darüber hinaus wird die Türkei auch für Deutschland immer wichtiger als Energiekorridor. Das betrifft zum Beispiel die RWE-Beteiligung am Konsortium für den Bau der Nabucco-Pipeline. Damit hat die Bundesrepublik nicht nur große Verantwortung, sondern auch eine entsprechende Pflicht hinsichtlich der Einforderung von Arbeits- und Einkommensbedingungen sowie die Rahmenbedingungen für die gewerkschaftliche Arbeit gemäß den in den EU-Staaten gültigen Standards und denen der ILO.

So gehört zu den zahlreichen deutschen Unternehmen z.B. das Motorenwerk Mahle, das in seinem Betrieb in westtürkischem Izmir rund 500 Mitarbeiter beschäftigt. Diese Beschäftigten führen seit Wochen einen erbitterten Arbeitskampf gegen die Firmenleitung, die Druck auf sie ausübt und mit Betriebsschließung droht, wenn sie nicht aus der dort organisierten Gewerkschaft aus- und in eine andere, als unternehmerfreundlich bekannte Gewerkschaft eintreten. Kein Einzelfall! Nach Informationen von türkischen Gewerkschaften und auch der IG Metall versuchen deutsche Firmen in der Türkei mit allen Mitteln beschäftigtenfeindlichen Möglichkeiten, die ihnen das türkische Arbeitsrecht bietet, um gewerkschaftliche Aktivitäten in Betrieben zu verhindern, weitestmöglich auszunutzen.

DIE LINKE fordert von der Bundesregierung nicht nur, ihren Einfluss auf die türkische Regierung hinsichtlich der Einhaltung bzw. Einführung international verpflichtender gewerkschaftlicher Standards hinzuwirken. Es gilt auch, den Einfluss auf deutsche Unternehmen auszuüben, die im Ausland investieren und/oder produzieren. Angesichts der zahlreichen Beispiele, die wir aus Deutschland kennen, in denen aufgrund ihres gewerkschaftlichen Engagements „unbequeme" Beschäftigte kurzerhand vor die Tür gesetzt werden, hat man jedenfalls keinen Grund zu der Annahme, dass die deutschen Unternehmen dies freiwillig machen würden.

Dies scheint aber bei einem Trio infernale aus einem FDP-Außenminister, einem FDP-Wirtschaftsminister und einem FDP-Minister für Entwicklungszusammenarbeit wie die Quadratur des Kreises. Kein Wunder! Denn Außenminister Westerwelle reist offenbar besonders nicht lieber mit solchen, die der FDP viel Geld gespendet haben, sondern vertritt auch lieber deren Interessen. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gehören da wohl weniger zum Reisetross. Und so hat der Außenminister auf seiner Antrittsreise in die Türkei Anfang Januar 2010 auch nicht die Gelegenheit gefunden, sich entsprechend für die seit Mitte Dezember 2009 protestierenden TEKEL-Beschäftigten insoweit einzusetzen, dass er die Einhaltung international verankerter gewerkschaftliche Rechte als Grundlage für wirtschaftliche Kooperationen zur Voraussetzung machte.

DIE LINKE fordert im Rahmen der bilateralen Beziehungen mit der Türkei und auf EU-Ebene die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts nach den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als Voraussetzung für einen EU-Beitritt einzufordern. Uns geht auch darum, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die Probleme der Gewerkschaften in der Türkei in künftigen Fortschrittsberichten ausführlicher thematisiert und noch deutlicher in den Mittelpunkt gestellt werden. Insbesondere die mangelnde Versammlungs- bzw. Vereinigungsfreiheit sollte hierbei im Vordergrund stehen. Im bilateralen Rahmen muss darauf hingewirkt werden, dass die türkische Regierung gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Lösung findet, die gewährleistet, dass die Versammlungsfreiheit respektiert wird. Und das sollte bereits zum 1. Mai durchgesetzt werden, wenn es auf dem Taksim-Platz in Istanbul friedliche Demonstrationen stattfinden. Die Polizeigewalt gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und andere Demonstrantinnen und Demonstranten im Rahmen von Streiks muss die Bundesregierung deutlich kritisieren und klar machen, dass diese ganz erheblich Einfluss auf wirtschaftliche Kooperationsprojekte.

Die beste Gelegenheit, um dies auf die große Bedeutung gewerkschaftlicher Rechte aufmerksam zu machen, ist der Bundeskanzlerin in der Türkei. Auf dem Programm stehen politische und Wirtschaftsgespräche. Ich jedenfalls werde namens der LINKEN sowohl gegenüber den türkischen Regierungsvertretern als auch gegenüber den in Begleitung mitreisenden deutschen Unternehmerinnen und Unternehmern diese Themen ansprechen.