Für ein republikanisches Staatsangehörigkeitsrecht

Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Özcan Mutlu, Omid Nouripour, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung des Geburtsrechts im Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 18/4612

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Frieser, man kommt nicht umhin, wenigstens auf zwei Punkte Ihrer wirklich ungeheuerlichen Rede einzugehen.

Der erste Punkt sind die Ausschreitungen in den USA, Sie nannten sie „ethnische Spannungen". Sie sind keine Folge des Staatsangehörigkeitsrechts in den USA,

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er würde gern die Schwarzen ausbürgern!)

sondern das ist schlicht Rassismus. Das ist das Problem dieser Spannungen und Ausschreitungen in den USA. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Frieser (CDU/CSU): Das widerspricht meiner Argumentation in keinster Weise!)

Der zweite Punkt. Wenn Sie den Grünen und allen anderen, die für ein republikanisches Staatsangehörigkeitsmodell in Deutschland streiten und sich dafür einsetzen, vorwerfen, nur auf Wählerinnen- und Wählerstimmen abzuzielen, dann möchte ich Sie darauf hinweisen, dass der Vizevorsitzende der Bundes-CDU, Laschet,

(Michael Frieser (CDU/CSU): Stellvertretender Vorsitzender!)

im Rahmen des Wahlkampfes dem Verein Milli Görüs in Bremen einen Besuch abgestattet hat, einem islamistischen Verband, der kein Problem mit Dschihadisten hat, und dort um Wählerinnen- und Wählerstimmen geworben hat. Das ist schändlich, Herr Frieser. Das sollten Sie sich einmal ansehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist klar: Die Linke unterstützt diesen Gesetzentwurf der Grünen – um das unmissverständlich zu sagen. Wir Linke fordern seit Jahren, die bestehende Dominanz des Blutsrechts, des ius sanguinis, im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen eben nicht – Herr Beck hat das richtig gesagt -, dass nur diejenigen der hier geborenen Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, deren Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit bereits besitzen.

Auch die hier geborenen Migrantinnen- und Migrantenkinder sind frei und gleich an Rechten geboren, wie es in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 heißt. Ich finde, wir sollten im 21. Jahrhundert nicht hinter die Zeit von 1789 zurückfallen. Diese Bürgerinnen- und Bürgerrechte sollten wir uns zu eigen machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Kinder von Migrantinnen und Migranten sollen hier als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufwachsen können. Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht macht aus den hier geborenen Menschen in vielen Fällen Ausländer, obwohl sie eben Inländer sind.

Auch wenn ich das prinzipiell nicht mache, möchte ich Ihnen ein Beispiel aus meinem Leben geben. Ich bin in Duisburg in Nordrhein-Westfalen als Kind von Eltern aus der Türkei geboren, die als Gastarbeiter hierhergekommen sind. Ich bin hier geboren. Weil meine Eltern die türkische Staatsangehörigkeit hatten, hatte auch ich die türkische Staatsangehörigkeit.

Ich bin hier geboren, aufgewachsen, habe hier die Schule, die weiterführende Schule und die Universität besucht. Ich habe mich die ganze Zeit geweigert, für etwas einen Antrag stellen zu müssen, was meiner Meinung nach eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Warum konnten sich meine deutschen Freundinnen und Freunde deutsche Staatsbürger nennen, während ich sagen musste: „Nein, ich bin keine deutsche Staatsbürgerin"? Dabei bin ich genauso hier geboren und aufgewachsen wie die anderen.

An der Universität musste ich nochmals eine Diskriminierung erleben. Als ich ein Stipendium gewonnen hatte, um ein Jahr lang in Australien zu studieren, wollte ich einen Antrag auf Auslands-BAföG stellen, so wie das auch meine Kommilitonin tat, die mit mir dorthin fahren wollte. Meiner Kommilitonin wurde das gestattet, mir wurde das nicht gestattet. Warum? Weil ich keine deutsche Staatsbürgerin war. Ich finde das einfach unfair. Ich finde, das ist ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit mir zusammen finden es Tausende davon betroffene Menschen ungerecht, für eine Selbstverständlichkeit erst einmal einen Antrag zu stellen, was andere nicht tun müssen, obwohl man wirklich in jeder Hinsicht genauso wie die Freundinnen und Freunde mit einem deutschen Pass ist.

Die Anforderungen des Geburtsrechts, des Territorialprinzips ius sanguinis im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht sind einfach deutlich zu hoch. Hier müssen wir die Hürden absenken, wie das mein Kollege Beck sagte, gerade wenn wir an einer wirklichen Integrationspolitik interessiert sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

SPD und Grüne haben damals bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts 1999 einen längst überfälligen Einstieg in das ius soli gemacht.

(Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): So viel des Lobes!)

Doch leider war dieser Schritt zögerlich und unzureichend.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rheinland-Pfalz!)

Wenn einer Sache Lob gebührt, sollte man dieses Lob auch ausdrücken, lieber Herr Kollege,

(Beifall des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

aber nicht wie Sie, wenn Sie sagen, dass Herr Beck seine Rede aus dem Regierungsprogramm der SPD abgeschrieben habe. Dieses Programm haben Sie selbst Tag für Tag verraten. Sie sollten sich selbst an dieses Programm halten, statt darauf zu warten, dass wir Ihnen das Programm widerspiegeln. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Geburtsfehler unter Rot-Grün, die Optionspflicht, wurde anderthalb Jahrzehnte später mehr schlecht als recht beseitigt.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das lag aber an Rheinland-Pfalz! Das war nicht unsere Idee! Das war der Brüderle!)

Aber die sehr hohen Anforderungen an den Jus soli an den Aufenthaltsstatus wie den achtjährigen Aufenthalt oder das unbefristete Aufenthaltsrecht der ausländischen Eltern hier geborener Kinder sind nach wie vor in Kraft. Insofern gibt es Handlungsbedarf. Ich bleibe dabei: Diese hohen Hürden müssen endlich abgesenkt werden. Deshalb begrüßen wir diesen Gesetzentwurf.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich begrüße den Gesetzentwurf der Grünen auch, weil die Reform der Staatsangehörigkeit bei den Grünen bisher zumeist sehr unkritisch als Erfolg der rot-grünen Regierungszeit gefeiert worden ist und die verbliebenen Hürden und Härten gering geschätzt wurden, was mit diesem Gesetzentwurf ein Stück weit korrigiert wird. Ja, über die Stichworte „deutliche Gebührenerhöhung", „höhere Sprachanforderungen" und „Beseitigung des sogenannten Inländerprivilegs" das dazu führte – wir wissen es -, dass sehr viele türkische Staatsangehörige, die bisher die doppelte Staatsbürgerschaft hatten und auch deutsche Staatsangehörige waren, zu Tausenden und Zehntausenden ihre Staatsangehörigkeit verloren hatten, wurde einfach hinweggegangen.

Falls Ihnen das nicht bewusst ist: Die Einbürgerungszahlen in Deutschland lagen unter dem rot-grünen Staatsbürgerschaftsrecht bereits im Jahr 2003 unter den Zahlen nach dem alten Recht von 1913. 1999 waren es noch 143 000, und nach der Reform von Rot-Grün waren es 140 000.

Deshalb finde ich es gut, dass man sieht, dass diese Hürden immer noch bestehen und es keinen Grund gibt, wie bisher zu feiern, sondern dass die Dinge beim Namen genannt werden und die Abschaffung des Optionszwangs gefordert wird. Das unterstützen wir.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir unterstützen auch, dass der sinnlose Aufwand im Zusammenhang mit dem Optionsmodell, das von dieser Regierung eben nicht abgeschafft worden ist, grundsätzlich vollständig abgeschafft wird. Deshalb appelliere ich an die SPD, sich hier endlich zu bewegen und sich nicht weiterhin der Ausgrenzungspolitik von CDU und CSU anzuschließen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)