Beitrittsperspektive ohne doppelte Standards

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar Nietan, Uta Zapf, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD "Für eine ehrliche und faire europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkans" (BT-Drs. 17/9744)

Um es vorneweg klarzustellen: Die Fraktion DIE LINKE. tritt entschieden für eine ehrliche und faire europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkans ein. Der Ehrlichkeit und Fairness halber müssen wir dabei jedoch die Bedingungen und Zustände innerhalb der Europäischen Union (EU) und des westlichen Balkans sowie zwischen beiden klar benennen. Die EU, ihre Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik tragen immer deutlicher die Züge eines imperialen Projekts und an verschiedenen Stellen wird das innerhalb der EU und ihrer angegliederten Denkfabriken auch immer ehrlicher so benannt. Ein Imperium zeichnet sich dadurch aus, dass es keine klaren Grenzen hat, dass es den Geltungsbereich seines Rechts bis in eine weit entfernte Peripherie ausdehnt, während es die Entscheidungsgewalt im Zentrum konzentriert. Meine Damen und Herren, wenn wir uns den Geltungsbereich des Acquis Communautaire einerseits anschauen und die Bündelung politischer und ökonomischer Macht in Westeuropa und ganz besonders Berlin auf der anderen Seite, dann müssen wir ganz klar von einer imperialen Struktur sprechen. Dasselbe gilt, wenn wir uns das EU-Grenzregime betrachten, das ja genau deshalb von so herausragender Relevanz ist, weil es diese Struktur auf den Punkt bringt. Durch Verbindungsbeamte, Rücknahmeabkommen, Partnerschaftsprogramme, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten und Institutionen wie Frontex wurde die Grenzkontrolle und Flüchtlingsabwehr bis hinein in die Herkunfts- und Transitstaaten ausgelagert in Gebiete, wo ein Grundrechteschutz oder ein Zugang zum Europäischen Rechtssystem nicht existieren. Bereits in den Herkunftsstaaten versehen deutsche und europäische Beamten – und oft genug auch europäische Soldaten – ihren Dienst, dazwischen wurde ein Ring sog. „sicherer Drittstaaten" geschaffen, welche sich zu den willigen Erfüllungsgehilfen der EU haben machen lassen. Im Inneren liegt dann der Schengen-Raum, der bis heute nicht mit der Europäischen Union deckungsgleich ist, und im Zentrum die westeuropäischen Staaten, die mittlerweile immer öfter für sich in Anspruch nehmen, das Schengen-Abkommen temporär außer Kraft zu setzen. In der Peripherie herrscht der Ausnahmezustand, im Zentrum wird über diesen entschieden. Auch hier zeigt sich eindeutig die imperiale Struktur der EU.

Vor diesem Hintergrund wird gegenwärtig immer deutlicher von einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Europäischer Union und Demokratie gesprochen. Erinnern wir uns an die Referenden zum Vertrag von Lissabon: Man hat die Iren so lange abstimmen lassen, bis das für Berlin und Brüssel richtige Ergebnis herauskam. Ähnliches geschah nun in Griechenland. Und sogenannte Technokratische Regierungen werden innerhalb der EU weiter zunehmen, weil es eigentlich nur noch Aufgabe der Regierungen ist, Entscheidungen aus Berlin und Brüssel gegen den Willen der Bevölkerung durchzustellen.

Diese Art der Politik hat den Beitrittsprozess bislang wesentlich geprägt und wurde darin weiterentwickelt. Man hat dabei ganz offen versucht, in Wahlen einzugreifen, indem Entscheidungen über den Beitrittsprozess oder Visa-Liberalisierungen kurz vor Wahlen gelegt wurden, um die sog. pro-europäischen Kräfte zu unterstützen. Gleichzeitig wurde in Westeuropa hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand recht deutlich gesagt, dass es eine tatsächliche Beitrittsperspektive für einige der betreffenden Staaten nicht geben wird. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer ehrlichen und fairen europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkans grundsätzlich richtig, allein: sie ist verlogen. Betrachten wir nur einmal Serbien und den Kosovo, wo nicht einmal unter den westeuropäischen Staaten Einigkeit besteht, ob es sich um einen oder zwei Staaten handelt. Deutsche Soldaten waren hier in den letzten Monaten auf täglicher Basis damit beschäftigt, die Verwaltungsgrenze zwischen Serbien und dem Nordkosovo militärisch gegen die ansässige Bevölkerung durchzusetzen, sie gaben Schüsse ab und wurden selbst verwundet. In Bosnien und Herzegowina hingegen sind Soldaten der EU bis heute damit beschäftigt, das Auseinanderbrechen eines künstlichen Gebildes herauszuzögern.

Während deutsche Soldaten auf dem Balkan wieder mit Gewalt Grenzen ziehen und der deutsche Diplomat Ischinger (von der Regierung unwidersprochen) fordert, Deutschland solle die Rolle des „gutmütigen Hegemons" einnehmen, kommen sie mit diesem Antrag, der sich neben falschen Versprechungen vor allem durch den erhobenen Zeigefinger auszeichnet, der an die Regierungen des westlichen Balkan gerichtet ist. Das Versprechen von Thessaloniki soll erneuert werden, um dort neue Sparprogramme, die Privatisierung und Liberalisierung weiter voranzutreiben. Kein Wort verlieren sie zu den sozialen Folgen dieser Politik, zu der wachsenden Verarmung einer breiten Bevölkerungsmehrheit. Sie reden von Fortschritten bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und meinen damit die weitere Entrechtung, die Unterwerfung der Bevölkerungen und Regierungen unter das Diktat Berlins und Brüssels.

Wenn die Bevölkerungen des westlichen Balkans den Beitritt wirklich wollen, und sie die Kriterien im gleichen Ausmaß erfüllen, wie die Mitgliedsstaaten, dann müssen sie auch aufgenommen werden. Bevor wir dies aber ins Zentrum unserer Forderungen an die EU stellen, halten wir einen Abzug der Truppen aus Bosnien und dem Kosovo für notwendig. Bevor wir eine weitere Erweiterung der EU wirklich begrüßen können, wäre ihre Neugründung als demokratisches und soziales Projekt wünschenswert. Im Interesse der Bevölkerungen innerhalb der EU und derer die beitreten wollen.