Gastkommentar: Ein anderes Europa

Modell aus statt für Lateinamerika

Sevim Dagdelen

Oft wird Lateinamerika das europäische Modell angepriesen. Doch wie sieht die Wirklichkeit in der Europäischen Union aus? 30 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter erhalten Niedriglöhne, die nicht einmal das Überleben sichern. Das ist mittlerweile jeder siebte Beschäftigte. Und diese Zahl ist weiter dramatisch im Steigen begriffen. Insbesondere Frauen und Migranten sind von der Verarmung durch Arbeit betroffen. 18,9 Millionen Beschäftigte wie auch 6,9 Millionen Erwerbslose sind von Armut betroffen, es werden immer mehr. Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeit und Kapital geht immer weiter auf. Während die einen kaum noch wissen, wie sich angesichts der dramatischen Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Sprit, Strom, und Gas über Wasser halten sollen, machen die Unternehmen Rekordgewinne. Sieht so ein attraktives Exportmodell aus?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich als Handlungsreisende neoliberale für Strategien der EU auf den Weg nach Lateinamerika gemacht. Dabei werden fast ausschließlich willfährige Staaten mit rechten Regierungen, wie Peru, Kolumbien und Mexiko, besucht. Nebenbei will Merkel linken Präsidenten wie Hugo Chávez den Mund verbieten, wenn sie Kritik an der imperialen Strategie der EU üben. Merkel steht für eine Gesellschaft, in der die Armen immer ärmer werden und die Reichen immer reicher. Geht es nach dem Willen der CDU-Chefin, sollen die Armen Lateinamerikas noch weiter ausgeplündert werden, um die Profite des europäischen Kapitals zu steigern. Die Bodenschätze des Subkontinents sollen zum Schleuderpreis eingesackt werden.

Mit ihrem Besuch beim kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe geht Merkel förmlich über Leichen. Geradezu als Belohung des völkerrechtswidrigen Militärangriffs auf Equador und seiner Verstrickung in die Morde der Todesschwadronen und rechten Paramilitärs an Linken, Gewerkschaftern und Menschenrechtlern, kommt die Bundeskanzlerin nach Bogotá, um dem kolumbianischen Staatschef Absolution zu erteilen. Dies spricht Bände über ihr Verständnis von Menschenrechten. Als europäische Teilnehmerin in einem George-Bush-Ähnlichkeitswettbewerb gewänne sie wohl den ersten Preis.

Aber: Lateinamerika zeigt, daß es Alternativen gibt zum globalen gewalttätigen Kapitalismus und Imperialismus. Mit ALBA, der Bolivarischen Alternative für Amerika, ist zum ersten Mal ein solidarischer Zusammenschluß von Staaten entstanden, der eben nicht wie die EU auf der globalen Durchsetzung von Kapitalfreiheiten, Freihandel und militärischem Interventionismus beruht. Es ist ein beispielgebendes Modell für ein anderes Europa.

Die Autorin ist Mitglied der Linksfraktion im Bundestag und gehört zur Lateinamerika-Delegation von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sevim Dagdelen nahm in Lima am Alternativgipfel der sozialen Bewegungen teil

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