»Gericht betreibt Entpolitisierung des Falls«
Diese Woche ist der US-Auslieferungsantrag gegen Julian Assange abgelehnt worden. Wie haben Sie das Verfahren verfolgt?
Ziemlich angespannt. Ich kenne Julian seit 2012 persönlich und setze mich für ihn und Wikileaks bereits seit der Veröffentlichung von US-Kriegsverbrechen 2010 ein. Leider diesmal aus Berlin. Die britische Regierung hatte meine rechtzeitige Anreise zwecks Prozessbeobachtung durch eine absurde Auslegung der Quarantäneregelungen vereitelt. Ich hatte die Ausnahmegenehmigung rechtzeitig am 18. Dezember beantragt, erst gegen abends am 31. Dezember kam die Absage. Andere, die keinen Diplomatenpass besitzen, haben diese innerhalb von zwei Tagen bekommen. Offenbar hat man in Großbritannien kein Interesse an einer parlamentarischen unabhängigen Beobachtung und internationalen Begleitung des politischen Verfahrens.
Wie schätzen Sie die Urteilsbegründung der Richterin ein?
Über die Entscheidung, Assange nicht an die USA aufzuliefern, kann man sich vorerst freuen. Das ist auch ein Erfolg der internationalen Solidaritätsbewegung, die mit unzähligen Kampagnen und Initiativen gegen die Auslieferung gearbeitet hat. Im Kern ist das 132 Seiten umfassende Urteil eine schwere Hypothek für den Journalismus. In allen wesentlichen Punkten ist die britische Richterin der Argumentation der US-Klage gefolgt und rechtfertigt die Kriminalisierung des investigativen Journalismus. Das Urteil ist ein einziger großer Angriff auf die Pressefreiheit. Richterin Baraitser will Assange nur wegen der Haftbedingungen, die ihm in den USA drohen und die ihn zum Selbstmord treiben könnten, nicht ausliefern. Das Gericht betreibt damit eine Psychiatrisierung von Assange und eine totale Entpolitisierung des Falls.
Was ergibt sich daraus für ein mutmaßlich bevorstehendes Berufungsverfahren?
Am Mittwoch ist der zweite Antrag auf Kaution seit Beginn der Pandemie verwehrt worden. Wie sehen Sie diese Entscheidung?
Das ist ein Skandalurteil, rechtsstaatlich und auch humanitär. Eine Auslieferung wegen des schlechten Gesundheitszustands und der Haftbedingungen in den USA abzulehnen und Assange unter den nahezu gleich schlimmen Bedingungen im britischen Hochsicherheitsgefängnis weiter in Haft zu belassen – in seiner Konsequenz ist das ein Anschlag auf das Leben von Julian. Zudem hat die US-Klage vor Gericht angeführt, dass Assange sich über das Gesetz erheben würde. Ausgerechnet diejenigen, die für ein illegales CIA-Folterprogramm in Geheimgefängnissen, zahlreiche völkerrechtswidrige Kriege, internationale Drohnenmorde und Guantanamo verantwortlich sind, kommen mit dem Vorwurf, Julian Assange würde sich über das Gesetz stellen.
Gibt es in der Bundesregierung Anzeichen dafür, sich für Assange einzusetzen?
Nach langem Schweigen hat sich kurz vor der Urteilsverkündung zumindest die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, zu Wort gemeldet. Wegducken geht also nicht mehr. Die Bundesregierung muss sich jetzt mit Nachdruck dafür stark machen, dass Julian im Gefängnis nicht zu Tode kommt. Der Bruch des bisherigen Schweigens ist zu begrüßen. Bisher hieß es immer aus Berlin, wir vertrauen auf die Rechtsstaatlichkeit in Großbritannien und wollen uns zu dem Fall nicht äußern.
Was plant die zuletzt von Ihnen mitinitiierte parlamentarische Arbeitsgruppe?
Der Kampf für die Freiheit von Julian muss jetzt um so konzentrierter geführt werden. Wir dürfen uns von der Ablehnung der Auslieferung an die USA nicht blenden lassen. Internationale Solidaritätsarbeit ist wichtiger denn je. Ich bin froh, dass mittlerweile Abgeordnete aus allen demokratischen Fraktionen des Bundestages sich in der Arbeitsgemeinschaft »Freiheit für Julian Assange« engagieren. An diesem Freitag werden wir über die weiteren Schritte beraten. Denn die Verteidigung der Freiheit von Julian Assange ist die Verteidigung der Freiheit selbst.
Interview: Ina Sembdner
Quelle: junge Welt