Grüne Strategie
EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei
Angesichts des brutalen Vorgehens der türkischen Regierung gegen Demonstranten reibt man sich verwundert die Augen über die Diskussion in Deutschland. Fünf Tote und mehr als 7000 Verletzte infolge der Polizeieinsätze sind für SPD und Grüne Anlaß, die Öffnung weiterer EU-Beitrittskapitel einzufordern. So jüngst erst wieder der Rüstungslobbyist Johannes Kahrs oder auch Claudia Roth, die besonders gerne auch Lügen über Die Linke erzählt. Etwa die, Die Linke sei nicht gegen das AKP-Regime. CDU und CSU erwägen aus angeblich menschenrechtlichen Gründen eine Aussetzung der Beitrittsverhandlungen mit Ankara, zugleich setzt die Union auf eine engere »sicherheitspolitische Kooperation« mit dem Erdogan-Regime, wie der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident David McAllister dieser Tage deutlich machte.
Allein Die Linke verlangt die Aussetzung sowohl der Beitrittsverhandlungen wie auch der polizeilichen, geheimdienstlichen und militärischen Zusammenarbeit. Und dies nicht erst seit Beginn der Proteste. Schon 2009 hatte die Linksfraktion im Bundestag anläßlich des Verbots der Kurdenpartei DTP auf eine Unterbrechnung der EU-Gespräche gedrängt, solange nicht die Gesetzeslage verändert wird, die solche willkürlichen antidemokratischen Maßnahmen erlaubt. Dies ist selbstverständlich bis zum heutigen Tag nicht geschehen. Im Gegenteil. Zu Beginn der AKP-Herrschaft saßen 50000 Menschen in türkischen Haftanstalten ein. Zehn Jahre später hat sich die Zahl mit rund 140000 fast verdreifacht. Tausende kurdische Politikerinnen und Politiker sitzen weiterhin in Haft, auch 85 Journalisten, Gewerkschafter und Intellektuelle. Trotz dieses offensichtlichen Amoklaufs der AKP gegen Demokratie und Menschenrechte wurde die Lage in der Türkei gerade von den Grünen regelrecht schöngeredet. So sprach der Vorsitzende Cem Özdemir noch vor wenigen Wochen von einer erfolgreichen Demokratisierung der Türkei im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen.
Einzig die Vermittlungsstrategie wurde geändert. Jetzt kritisiert man die AKP wegen der brutalen Polizeieinsätze, nimmt diese aber zum Anlaß, um die grüne Strategie der Beitrittsverhandlungen ohne Wenn und Aber zu intensivieren. Gerade an diesem Beispiel ist ersichtlich: Es geht nicht im mindesten um die Menschen in der Türkei, mit denen ein falsches Spiel getrieben wird. Es geht allein um die grüne Begleitmusik zur Strategie des deutschen Kapitals, das Wegbrechen der Märkte im Süden Europas durch Marktöffnungs- und Privatisierungskampagnen im Zuge eines intensiveren EU-Beitrittsprozesses kompensieren zu können.
Klar ist: Neu eröffnete Beitrittskapitel müßten mit der AKP-Regierung des Recep Tayyip Erdogan verhandelt werden. Das wäre ein Schlag ins Gesicht der Taksim-Demonstranten.
Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion Die Linke und stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe