Integration steht drauf. Das Gegenteil ist drin!
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Integrationsgesetz (18/8615)
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister de Maizière! Frau Ministerin Nahles! „Integration“ steht zwar auf Ihrem Gesetzentwurf, aber in Ihrem Gesetzentwurf ist genau das Gegenteil enthalten. Deshalb haben zu Recht beide großen Kirchen, das Deutsche Institut für Menschenrechte, viele verschiedene Flüchtlingsverbände, Organisationen und Initiativen Ihren Gesetzentwurf in der Luft zerrissen, weil es der Entwurf eines Integrationsverhinderungsgesetzes ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Integration soll ausgeschlossene soziale Gruppen in die Gesellschaft hereinholen, doch hier geschieht genau das Gegenteil: Ausgeschlossene Gruppen sollen gegeneinander ausgespielt werden. Denn zahlreiche Maßnahmen in diesem Gesetzentwurf sehen beispielsweise vor, hier einen neuen Billiglohnsektor zu schaffen.
(Daniela Kolbe (SPD): Lächerlich!)
Unter dem Deckmantel der Menschenfreundlichkeit will SPD-Arbeitsministerin Nahles hier ein neues Werkzeug zum Lohndumping etablieren.
(Thomas Oppermann (SPD): Wo leben Sie eigentlich?)
Allein für 100 000 Flüchtlinge soll Arbeit zu Stundenlöhnen von 80 Cent geschaffen werden. Denn gegenüber den ohnehin schon miesen 1-Euro-Jobs wird der Lohn bei den Flüchtlingen noch um 20 Prozent gekürzt. Die Begründung ist, Flüchtlingen entstünden ja keine Mehraufwendungen für Arbeitskleidung oder Fahrtkosten, wenn sie in Sammelunterkünften tätig würden. Ich finde, das ist unerträglich, Frau Ministerin.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))
So geht die Lohnspirale nämlich nach unten, und Flüchtlinge werden in Konkurrenz zu Einheimischen gesetzt.
(Thomas Oppermann (SPD): Maßlos übertrieben!)
Hier wird nicht integriert, sondern gespalten, meine Damen und Herren. Hier werden keine Menschen integriert, sondern es wird direkt darauf gezielt, Armutslöhner im Niedriglohnbereich auch noch gegeneinander auszuspielen.
(Kerstin Griese (SPD): Völliger Quatsch!)
Das, meine Damen und Herren von der Union und von der SPD, kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. Das, was Sie da bauen, ist ein regelrechter Rassismusmotor.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)
– Wir brauchen in diesem Land eine soziale Offensive für alle und keine Spaltung gerade im Niedriglohnbereich, die diejenigen betrifft, welche sowieso zu wenig verdienen, meine Damen und Herren.
(Thomas Oppermann (SPD): Sie haben doch eine Meise! – Volker Kauder (CDU/CSU): Damit beleidigen Sie den Vogel! Bei der lässt sich noch nicht einmal eine Meise nieder!)
Sie fördern nicht die Solidarität der Beschäftigten, sondern Sie etablieren eine Schmutzkonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Das hat nichts mehr mit Integration zu tun!
(Volker Kauder (CDU/CSU): So etwas ist unerträglich! Unerträglich!)
Genau das hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf gesagt, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie. Er hat den Gesetzentwurf in der Luft zerrissen – insbesondere die Regelungen zur Einführung von Arbeitsgelegenheiten, die vor allem von privatwirtschaftlich tätigen Trägern von Erstaufnahmeeinrichtungen und auch Gemeinschaftsunterkünften genutzt werden können. Die Möglichkeiten des Einsetzens von Asylbewerbern in der Leiharbeit wurden vom DGB massiv kritisiert. Ich finde, diese Kritik des DGB ist mehr als berechtigt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann (SPD): Lauer Beifall bei der Linken-Fraktion!)
Das müsste Ihnen doch wirklich zu denken geben. Die Linke fordert jedenfalls, dass dieses Lohndumpingprojekt sofort eingestellt wird. Wir brauchen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen auch – das gilt eben auch für Flüchtlinge und alle anderen, die sich im Niedriglohnbereich befinden – einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 12 Euro.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Nur? – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das wird wöchentlich mehr!)
Denn nur dann stellen wir sicher, dass es nicht wieder einen Armutslohn gibt, der dann auch noch von der Gesellschaft – ob im Arbeitsleben oder bei der Rente – subventioniert wird.
Eine weitere Maßnahme dieses Gesetzes setzt ebenso auf Desintegration, meine Damen und Herren. Mit der Forderung nach einer Wohnsitzauflage wird eine Integration nämlich regelrecht hintertrieben. Denn was bedeutet eigentlich eine Wohnsitzauflage? Sie bedeutet, dass Flüchtlinge in Regionen angesiedelt werden sollen, welche von den Menschen dort mangels Perspektive bzw. Arbeitsmöglichkeiten reihenweise verlassen werden. So etwas kann doch wirklich nicht funktionieren. Durch solche absurden Forderungen verhindern Sie doch die Förderung dieser Menschen.
(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Haben Sie mal mit den Kommunen gesprochen?)
Dies bedeutet auch, dass Menschen private Netzwerke dort nicht benutzen können, wo sie Familie, Verwandte und Freunde haben, was für die Arbeitssuche und die Förderung von Arbeitsmöglichkeiten wichtig ist. Das behindern Sie eben mit dieser Wohnsitzauflage. Sie handeln hier ganz nach dem zaristischen Entwicklungsmodell für Sibirien, meine Damen und Herren.
(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Das ist doch lächerlich!)
Das hat nichts mehr mit Entwicklung und Arbeitsmarktförderung zu tun. Ich finde, Integration heißt doch nicht, Menschen lediglich in leerstehende Wohnblöcke zu pferchen. Was glauben Sie denn, was los ist? Sie und ich würden ja auch nicht irgendwohin ziehen, wo es vielleicht Wohnungen, aber keine Arbeitsmöglichkeiten bzw. Perspektiven für unsere Familien gibt. Deshalb sagen wir: Wir sind – wie auch viele Verbände – gegen eine Wohnsitzauflage, die ganz nebenbei auch noch gegen ein Dutzend Menschenrechtskonventionen verstösst.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein weiterer Punkt wurde von Herrn Minister de Maizière kurz angesprochen. Pro Asyl, Herr Minister de Maizière, hat gesagt, dass Ihr Gesetzentwurf rechte Stimmung in Deutschland bedient, indem suggeriert wird, dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen. Genau das ist seit Jahren auch die Beobachtung der Linksfraktion hier. Seit längerem schon agitieren Sie in der Öffentlichkeit bezüglich vermeintlicher Integrationsverweigerer. Auf beständiges Nachfragen meiner Fraktion aber haben Sie selbst gesagt, dass Ihnen keine Daten beispielsweise darüber vorliegen, wer aus welchem Grund Integrationskurse verweigert und um wie viele Menschen es sich dabei handelt. Sie können nicht sagen, ob die Menschen vielleicht eine Arbeit gefunden haben, krank geworden oder umgezogen sind oder ob eine Frau ein Kind bekommen hat. Sie wissen es nicht, und trotzdem propagieren Sie hier ständig, dass sich Flüchtlinge weigern würden, die Kurse zu besuchen.
Dabei hat der ehemalige Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Herr Schmidt, gesagt, dass Ihnen Daten vorliegen, die besagen, dass nur 1 Prozent der Flüchtlinge die Kurse nicht besucht. Wegen 1 Prozent machen Sie seit Jahren eine Stimmung gegen Flüchtlinge und sagen, diese würden sich den Kursen und anderen Angeboten verweigern. Dabei sieht die Realität doch ganz anders aus.
Die Wahrheit ist: Seit zehn Jahren gibt es diese Integrationskurse, und seit zehn Jahren werden es immer weniger Kurse, dabei steigen der Bedarf und die Nachfrage aufgrund der Flüchtlinge. Ich finde es schändlich, dass Sie immer noch Stimmung gegen vermeintliche Integrationsverweigerer machen. Schaffen Sie endlich die Kurse! Schaffen Sie so viele, wie verlangt werden! Dann sprechen wir über die Kurse.
(Beifall bei der LINKEN)
Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz einen weiteren Punkt ansprechen. Laut Deutschem Institut für Menschenrechte ist der vorliegende Gesetzentwurf weder mit dem Recht auf Asyl gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes noch mit flüchtlings- und menschenrechtlichen Vorgängen in Einklang zu bringen; denn Sie wollen versteckt § 29 des Asylgesetzes ändern. Demnach sind Asylantragsteller künftig abzuschieben, und zwar ohne inhaltliche Prüfung vor Ort, wenn ein Drittstaat sich bereit erklärt, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist der größte Angriff auf das Grundrecht auf Asyl seit 1992. Das Grundgesetz garantiert die ergebnisoffene Einzelfallprüfung. Mit Ihrem Gesetz können noch mehr Flüchtlinge ohne inhaltliche Prüfung in andere Staaten abgeschoben werden, in denen ihr Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat und ihr Zugang zu einem fairen Asylverfahren eben nicht mehr garantiert sind.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Das ist wirklich schäbig. Das ist ein Angriff auf unser Grundgesetz. Deshalb werden wir sowie die Verbände, die das massiv kritisiert haben, gegen diesen Gesetzentwurf Widerstand leisten.
(Zuruf der Abg. Katja Mast (SPD))
Hören Sie mit dem Unfug auf.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Genau! Hören Sie mit dem Unfug auf!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin!
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Machen Sie das Grundgesetz nicht noch einmal zum Steinbruch.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)