USA-Reise: »Ich habe die Position der Friedensbewegung vermittelt«
Kriegskritik im Rosengarten: Warum es Sinn macht, als Linke an Obamas Staatsbankett für Merkel teilzunehmen. Ein Gespräch mit Sevim Dagdelen
Sie waren als Vertreterin der Linksfraktion eingeladen, am Staatsbankett anläßlich der Übergabe der Freiheitsmedaille an Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington teilzunehmen. Wie war das Essen im Weißen Haus?
Das ist Geschmackssache. Aber wegen der großen Inszenierung bin ich nicht mitgereist. Mir war wichtig, daß es wenigstens eine kritische Stimme gibt, die einen Kontrapunkt setzt.
Obama ist verantwortlich für die Kriege in Afghanistan und Libyen, für die Drohnenangriffe in Pakistan und die anhaltende US-Präsenz im Irak. Das müßte einem doch den Appetit verderben?
So gesehen müßte einem der Appetit jeden Tag vergehen, ob in den USA oder in Deutschland. Hinsichtlich der Forderung nach einer stärkeren militärischen Beteiligung Deutschlands gab es offenbar eine Zusage zu einer sogenannten NATO-Rechtsstaatsmission in Afghanistan und eine deutsche Beteiligung an einer UN-Mission in Libyen. Die Bereitschaft zu stärkerer militärischer Beteiligung Deutschlands weltweit ist offensichtlich gewachsen. Außerdem erschien mir in Sachen Iran Merkel scharfmacherischer als Obama.
Merkel flog mit großem Troß nach Washington. Sie scheinen die einzige Kriegsgegnerin gewesen zu sein. Wie muß man sich da die Stimmung vorstellen?
Wenn jemand klare Positionen vertritt, können die Kolleginnen und Kollegen damit in der Regel besser umgehen als mit der Dienerhaltung, verbunden mit einem Ähnlichkeitswettbewerb zur rotgrünen Außenpolitik. Ein eigenständiger linker Ansatz in der Außenpolitik wurde auch von den US-Verantwortlichen durchaus als diskussionswürdig empfunden.
Hatten Sie denn Gelegenheit, den Linke-Standpunkt in Washington zur Geltung zu bringen?
Ich habe im Rahmen meiner Möglichkeiten während des Defilees Präsident Obama die Position der Friedensbewegung und der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland vermittelt: Nämlich die klare Ablehnung der Kriegshandlungen in Afghanistan, ein Nein zur Ausweitung der deutschen Beteiligung dort und ein Nein zum Krieg in Libyen. Und die Forderung nach Beendigung aller anderen Kriege. Insofern hat sich meine Teilnahme an der US-Reise gelohnt. Das war mir sehr wichtig. Auch in Gesprächen mit Mitgliedern des US-Kongresses habe ich die mehrheitliche Kriegsablehnung in Deutschland deutlich machen und die Forderung nach Schließung der US-Stützpunkte als eine der Friedensbewegung mitteilen können. Und wir brauchen einen stärkeren Kontakt zu Linken in den USA auf Augenhöhe, um gemeinsam gegen Krieg und entfesselten Kapitalismus zu streiten.
Wer waren Ihre Ansprechpartner?
Vor allem der Abgeordnete Denis Kucinich. Ich habe ihn eingeladen, an der von der Friedensbewegung organisierten Gegenkonferenz zum Afghanistan- Gipfel auf dem Petersberg bei Bonn im Herbst teilzunehmen. Generell sind wir übereingekommen, stärker zu kooperieren. Und allein deswegen hat sich die Reise gelohnt.
Und wie hat der Friedensnobelpreisträger im Weißen Haus auf Ihre Kriegskritik reagiert? Hat er sie einfach weggelächelt?
Präsident Obama hat sich bedankt, daß ich ihm diese Botschaft übermittelt habe. Er hat sie zumindest zur Kenntnis nehmen müssen. Ich weiß nicht, wann ihm eine solche Botschaft das letzte Mal durch einen Gast überbracht worden ist. Wahrscheinlich war ich die Erste und auf jeden Fall die einzige in der Delegation des Bundestages.
Während Sie im Weißen Haus dinierten, tobte in Ihrer Fraktion in Berlin der Bär. Wäre es rückblickend nicht wichtiger gewesen, sich in die mit Antisemitismusvorwürfen aufgeladene Nahostdebatte einzuschalten?
Die Auseinandersetzung war vor meiner Reise nicht absehbar. Ich leide aber auch nicht an Überschätzung und glaube nicht, daß ich alleine das hätte verhindern können. Es ist bedauerlich, daß getrieben von rechten Mainstreammedien und Politikern die Linksfraktion der Meinung war, einen solchen Beschluß fassen zu müssen. Mir drängt sich der Eindruck auf, daß bestimmte Leute in der Fraktion die Debatte ausschließlich führen, um innerparteiliche Geländegewinne zu erzielen. Das finde ich wirklich abstoßend.
Viele Abgeordnete haben an der Abstimmung allerdings nicht teilgenommen. Interessant finde ich, daß die Forderungen nach derartigen Denkverboten ausgerechnet von Abgeordneten kommen, die sich den Strömungen FdS oder der EMALI zurechnen.
Fraktionskollegen von Ihnen unterstützen kriegshetzerische Initiativen wie »Stop the bomb«. Sie machen sich gemein mit Leuten, die den Einsatz von Atomwaffen gegen Teheran erwägen. Warum gibt es hier kein klares Votum der Linken?
Das ist in der Tat beklagenswert, besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte. Ich bereite derzeit eine Initiative in der Partei vor, in der festgehalten wird, daß im neuen Programm der Partei jeder Form von Befürwortung von Kriegsvorbereitung und -propaganda in der Gesellschaft eine klare Absage erteilt wird. Kriegsvorbereitung und die Befürwortung von Kriegen sollte zu keiner Zeit Platz in unserer Partei haben. Es muß klar sein, daß sich Linke nicht an Aufrufen wie »Stop the bomb« oder den Aufrufen zu NATO-Bombardements beteiligen. Dies muß jetzt klar in der Partei entschieden werden.
Interview: Rüdiger Göbel
Junge Welt vom 10.06.2011
Siehe auch:
Die Botschaft heißt Harmonie, ND vom 08.06.2011
Atlantische Einheit, JW vom 09.06.2011