Mündliche Frage PlPr 17/67: Ist die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung der Bundesregierung ein Einwanderungsland?

Ist die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung der Bundesregierung ein Einwanderungsland?

Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Frau Kollegin Dagdelen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Eine geregelte und kontrollierte Gestaltung der Zuwanderung nach Deutschland findet nach Maßgabe des deutschen Aufenthaltsrechts statt, das somit bestimmt, für welche Personen Deutschland die Funktion eines Einwanderungslands haben soll. Das Aufenthaltsgesetz ermöglicht und gestaltet die Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen unseres Landes. Es dient zugleich der Erfüllung unserer humanitären Verpflichtungen.

Ich verweise auf § 1 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes. Die Zuwanderungssteuerung betrifft im Wesentlichen vier verschiedene Gruppen: Ehegatten und Familiennachzug,
Asyl- und Flüchtlingsschutz, ausländische Studierende und Auszubildende sowie Arbeitsmigration. Die §§ 27 ff. des Aufenthaltsgesetzes bilden den gesetzlichen
Rahmen für den Aufenthalt aus familiären Gründen, wie er im Wesentlichen durch Art. 6 des Grundgesetzes und die Menschenrechtskonvention vorgegeben ist.
Die Gewährung von politischem Asyl ist durch Art. 16 a des Grundgesetzes und die Genfer Flüchtlingskonvention in Verbindung mit den aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverboten – § 60 des Aufenthaltsgesetzes – gesichert. Daneben gibt es Möglichkeiten der Aufnahme aus humanitären oder politischen Gründen. Ich verweise auf die §§ 22 ff. des Aufenthaltsgesetzes.

Möglichkeiten des Aufenthalts zum Zweck des Schulbesuchs, zur Teilnahme an Sprachkursen sowie zum Zweck des Studiums oder der Ausbildung halten
die §§ 16 ff. des Aufenthaltsgesetzes bereit. Die Regelung der Arbeitsmigration in den §§ 18 ff. des Aufenthaltsgesetzes ist als ein Kernstück der Zuwanderungssteuerung zu betrachten. Hier steht die Steuerung der Zuwanderung von Fachkräften – § 18 Abs. 2 und 4 – und Hochqualifizierten – § 19 des Aufenthaltsgesetzes – im Vordergrund.

Nachfrage Sevim Dagdelen:

Vielen Dank. – Herr Bergner, da lachen Sie ja selbst. Es war sehr nett von Ihnen, dass Sie alle Paragrafen sowie die Inhalte und Titel dieser Paragrafen zitiert haben. Aber danach habe ich nicht gefragt. Ich habe gefragt, ob die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das ist eine politische Wertung. Es geht nicht darum, nach welchen Kriterien die Einwanderung erfolgt und wie das Aufenthaltsgesetz aussieht. Vielmehr geht es darum, ob die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist, ob sie, wie es die CSU sagt, kein Zuwanderungsland ist oder ob sie, wie es die CDU oftmals in Form von Erklärungen der Mitglieder des Kabinetts verlautbaren lässt, ein Integrationsland ist. Eine andere Partei, die Mitglied der Regierung ist, nämlich die FDP, sagt sogar klar und deutlich, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist. Deshalb möchte ich gerne eine Antwort, die entweder ein Ja oder ein Nein beinhaltet. Das ist eine ganz einfache Frage, die eine ganz einfache Antwort verdient hat.

Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Frau Kollegin Dagdelen, ich weiß nicht, ob ich der Ernsthaftigkeit Ihrer Frage gerecht werde, wenn ich sie nur mit Ja oder Nein beantworte.

(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Klar!)

Der Begriff „Einwanderungsland" ist kein Rechtsbegriff, sondern ein politisch begründeter Kategorisierungsprozess. Unter diesem Gesichtspunkt kann ich Ihnen persönlich nur sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland meinem Begriff eines Einwanderungslandes insofern nicht entspricht, als ich die klassischen Einwanderungsländer vor Augen habe, die bei dünner Ausgangsbesiedlung durch eine Einwanderungsgeschichte ihre gesellschaftliche Wirklichkeit aufgebaut haben. Wir haben es hier also mit einem anderen Einwanderungsgeschehen zu tun.

Ich sage noch einmal – deshalb habe ich mich bemüht, Ihre Frage mit den rechtlichen Hinweisen so ausführlich zu beantworten –, dass es unter rechtlichen Gesichtspunkten durchaus Möglichkeiten der Einwanderung nach Deutschland gibt, dass sie gut geregelt sind und dass das andere eine Frage der politischen Kategorisierung ist.

Nachfrage Sevim Dagdelen:

Danke, Herr Präsident. – Ich bin hier in keinem Gerichtssaal und habe auch keine juristische Definition verlangt. Die Bundesregierung macht meines Wissens Politik. Deshalb möchte ich eine politische Antwort auf meine Frage. Ich frage daher noch einmal: Ist die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung der Bundesregierung – nicht nach Ihrer Auffassung, Herr Staatssekretär – ein Einwanderungsland?

Eine Nachfrage dazu. Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa vom 25. Oktober fordert die CSU in einem Leitantrag der Parteispitze für den Parteitag am kommenden Wochenende mit dem Titel „7-Punkte-Integrationsplan" ein Bekenntnis zur deutschen Leitkultur. Wörtlich heißt es dort: Wer bei uns leben will, muss sich in die deutsche Leitkultur integrieren … Teilt die Bundesregierung diese Forderung? Inwieweit plant die Bundesregierung gesetzgeberisch, ein Bekenntnis zur deutschen Leitkultur einzuführen?

Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Frau Kollegin Dagdelen, die Haltung der Bundesregierung, die, wie Sie wissen, aus unterschiedlichen Koalitionspartnern besteht, ist in der Koalitionsvereinbarung in einem umfangreichen Kapitel zur Migration und Integration festgelegt. Die Frage, welche Rolle politische Wertungsprozesse in diesem Zusammenhang spielen, ist Sache der beteiligten Parteien. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie nicht aus einer Vorlage der Bundesregierung, sondern aus einem Antrag eines geschätzten Koalitionspartners zu seinem Parteitag zitiert haben.