Karl Liebknechts Vermächtnis

Im Namen meiner Fraktion DIE LINKE im Bundestag heiße ich Sie alle herzlich willkommen zu unserer Veranstaltung zu Ehren von Karl Liebknecht. Ein herzliches Danke an die Sängerin und Brecht-Interpretin Gina Pietsch für diese wundervolle Eröffnung.

Auf den Tag genau vor einhundert Jahren blieb Karl Liebknecht im Reichstag als einziger sitzen. Alle anderen Abgeordneten erhoben sich von ihren Plätzen – auch die seiner SPD-Fraktion – und bekundeten damit ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten des ersten Weltkrieges. Wir können die Einsamkeit Liebknechts an diesem Tag nicht ohne die Vorgeschichte verstehen.

Ursprünglich hatte sich die SPD-Führung gegen den Krieg gestellt. Am 25. Juli 1914 veröffentlichte der Parteivorstand eine Erklärung, in dem es hieß: „Kein Tropfen Blut eines deutschen Soldaten darf dem Machtkitzel der österreichischen Gewalthaber, den imperialistischen Profitinteressen geopfert werden." Innerhalb nur weniger Tage schlug die Stimmung völlig um. Für den Krieg wurde als Verteidigungskrieg zum Sturz der zaristischen Barbarei in Russland getrommelt. Heute würden Kriegstreiber so etwas eine „humanitäre Intervention" nennen.

Damals wurde jede nur erdenkliche Kriegslüge bemüht, um die Angst vor Russland zu schüren. In einem Leitartikel des sozialdemokratischen Vorwärts hieß es: „Wir wollen nicht, dass unsere Frauen und Kinder Opfer kosakischer Bestialitäten werden." 14 SPD-Abgeordnete verweigerten sich zunächst intern dem neuen Kurs der Partei. In der ersten Abstimmung über die Kriegskredite im Reichstag am 4. August 1914 stimmte jedoch die gesamte Fraktion dafür – auch Karl Liebknecht. In der zweiten Abstimmung am 2. Dezember verweigerte sich Liebknecht dann. Seine Genossen konnte er aber nicht umstimmen. Die SPD erklärte den Burgfrieden, die Burgfriedenspolitik, die Gewerkschaften verzichteten auf Streiks. Der Kriegszustand wurde verhängt, die Militärverwaltungen übernahmen die Macht. Dies beinhaltete auch die Einschränkung der Pressefreiheit. Die allermeisten Medien beteiligten sich aber ohnehin an der Kriegshetze.

Die geistige Mobilmachung war jedoch nicht nur Sache der Zeitungen in Deutschland. Gerade deutsche Akademiker und Intellektuelle standen an vorderster Front. Ein besonders perfides Beispiel ist die „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches" mit 3000 Unterzeichnern vom 16. Oktober 1914. Sie rechtfertigte den 1. Weltkrieg als Verteidigungskampf deutscher Kultur. In dem Manifest heißt es: „Unser Glaube ist, dass für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche „Militarismus" erkämpfen wird."

Unter den Unterzeichnern finden sich Otto Hahn, Edmund Husserl, Karl Jaspers und Max Planck. Zu diesem Zeitpunkt hatten deutsche Truppen bereits unvorstellbare Gräuel in Belgien angerichtet. Als Reaktion auf vermeintliche oder tatsächliche Sabotageakte waren tausende Zivilisten ermordet worden. In der belgischen Stadt Löwen wurden nach dem deutschen Einmarsch ein Sechstel aller Gebäude durch deutsche Truppen zerstört. Die Universitätsbibliothek mit ihrem einzigartigen mittelalterlichen Handschriftenbestand fiel den Flammen zum Opfer.

Wiederrum verteidigte ein Manifest von 93 deutschen Intellektuellen das Vorgehen der deutschen Truppen in Belgien. Ich zitiere aus dem Manifest: „Es ist nicht wahr, dass unsere Kriegsführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. Im Osten aber tränkt das Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen zerreißen Dumdumgeschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen." So diese deutschen Intellektuellen im Oktober 1914. Bei den Unterzeichnern finden sich Friedrich Naumann, Gerhard Hauptmann, wie auch zahlreiche Nobelpreisträger.

Wir müssen uns Liebknechts Einsamkeit im Jahr 1914 angesichts dieser ungeheuerlichen geistigen Mobilmachung vor Augen führen. Und in dieser Situation hat er die Kraft und die Zivilcourage, trotz der Kriegslügen und Kriegspropaganda und trotz den Anforderungen der Partei- und Fraktionsdisziplin seinem Gewissen zu folgen und sich für das Antikriegsprogramm der SPD einzusetzen. In einer Zeit, als alle anderen Abgeordneten, ob aus Überzeugung oder Opportunismus, erneut ihr Plazet für die Kriegskredite gaben.

In dieser Zeit der Einsamkeit hatte Liebknecht die Kraft zu sagen, was ist. In seiner persönlichen Erklärung zur Abstimmung über die Finanzierung des Krieges am 2. Dezember heißt es: „Unter Protest jedoch gegen den Krieg, seine Verantwortlichen und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die ihn heraufbeschwor, gegen die kapitalistischen Ziele, die er verfolgt, gegen die Annexionspläne, gegen den Bruch der belgischen und luxemburgischen Neutralität, gegen die Militärdiktatur, gegen die soziale und politische Pflichtvergessenheit, deren sich die Regierung und die herrschenden Klassen auch heute noch schuldig machen, lehne ich die geforderten Kriegskredite ab."

Wie ein Ausweis der Verhältnisse wurde seine persönliche Erklärung vom Reichstagspräsidenten nicht einmal mehr in den stenographischen Bericht der Reichstagssitzung aufgenommen, weil in ihr Äußerungen enthalten seien, „die wenn sie im Hause gemacht wären, Ordnungsrufe nach sich gezogen haben würden", so der Reichstagspräsident.

DIE LINKE hat im Deutschen Bundestag beantragt, eine Gedenktafel für Karl Liebknecht in Erinnerung an diesen Akt der Zivilcourage anbringen zu lassen. Seit seiner Ermordung durch rechtsradikale Freikorpssoldaten unter Billigung des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske erinnert nämlich nichts an ihn im Reichstag. DIE LINKE will das ändern. Leider verweigern dies bisher alle anderen Fraktionen.

In der entsprechenden Debatte im Bundestag am 3. Juli diesen Jahres betonte der Redner der CDU, dass eine Gedenktafel für Liebknecht nicht in Frage komme, denn Liebknecht sei auch Gründer der KPD gewesen. Und weiter –ich zitiere aus der Rede des Kollegen-: „Das Wirken der KPD in der Weimarer Republik kann und wird jeder Demokrat negativ bewerten…die Entstehung der KPD ist auch untrennbar mit dem Abstimmungsverhalten von Karl Liebknecht und seinen Unterstützern beim Thema Kriegskredite verbunden."

Seine Kollegin von der SPD meinte, der Antrag sei ein „vergifteter Antrag". Jeder wisse doch, dass damit „auf die schwierige Rolle der SPD in den Jahren 1914 ff." verwiesen werden soll, „weil die SPD 1914 im sogenannten Burgfrieden den Kriegskrediten zugestimmt hat."

Die Grünen wiederum lehnten eine Gedenktafel für Liebknecht ab, weil es nicht einem „verantwortungsvollen Umgang mit unserer Vergangenheit" entsprechen würde, wenn „eine einzelne Persönlichkeit" geehrt würde.

Dieser Einwand der Grünen ist besonders humorvoll, da es sich in diesem Fall um die Ehrung des einzigen Abgeordneten handelt, der gegen die Kriegskredite 1914 stimmte. Wen also außer eine einzelne Persönlichkeit sollte man hier noch ehren?

Auch 100 Jahre später bleibt Liebknechts Nein zum Krieg also anstößig. Zu viel Licht wirft sein einsames Nein offenbar auf das Ja der vielen damals und auf diejenigen, die sich in der Tradition der Ja-Sager sehen.

Sei es drum.

In Brechts Gedicht „Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin" heißt es: „So nützen sie sich, indem sie Lenin ehrten und Ehrten ihn, indem sie sich nützten, und hatten ihn also verstanden."

Heißt die beste Ehrung für Karl Liebknecht nicht auch heute sich zu nützen?

Heißt es nicht, sich zu widersetzen gegen die Kriegspropaganda und die Kriegslügen heute?

Heißt es nicht, sich nicht dumm machen zu lassen und hinter den Nebelschleiern der humanitären Intervention die wahren Kriegsgründe zu sehen?

Heißt es nicht, auch bei Obamas neuen Krieg gegen den Terror nicht mitzumachen?

Heißt es nicht, aufzubegehren gegen neue Feindbilder und Merkels Kalten Krieg gegen Russland?

Heißt es nicht, aufzustehen gegen die neuen Kriege heute, damit es nicht wieder nur einer ist, der sich dem Krieg verweigert?

Heißt es nicht, gemeinsam den Kampf gegen ein System der Ausbeutung zu organisieren, das weltweit die Gefahr imperialistischer Kriege schürt?

So sollen denn auch die Beiträge des heutigen Abends sein.

Sie sollen Liebknecht ehren, indem sie uns nützen.

Damit gebe ich dem Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, das Wort, der zur Gewissensfreiheit und Völkerrecht spricht.

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