Katastrophenschutz nicht zum Instrument imperialer Machtpolitik verkommen lassen
Am vergangenen Sonntag, den 22. Mai, eröffnete die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Catherine Ashton, eine Vertretung der EU in der libyschen Stadt Bengasi. Diese wird im selben Gebäude untergebracht sein, wie die Vertretung der Vereinten Nationen und zahlreiche internationale Organisationen, darunter auch das Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der UN. Von dessen Zustimmung hängt die Durchführung der EU-Militärmission EUFOR Libya ab, die gegenwärtig vorbereitet wird. Offiziell soll dieser Einsatz humanitäre Ziele verfolgen aber auch Bodentruppen, u.a. aus der European Battlegroup, beinhalten. Wie praktisch, dass sich der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), der diesen Einsatz vorbereitet, in Bengasi bereits mit der humanitären Organisation, die ihm das Plazet erteilen soll, ein Dach teilt.
Viele humanitäre Organisationen haben sich jedoch sehr deutlich gegen einen solchen geplanten Militäreinsatz der EU gewandt, weil sie unter diesen Bedingungen ihre Arbeit kaum fortsetzen könnten. Sie nehmen der EU auch ganz zu Recht ihre humanitäre Zielsetzung nicht ab, weil die EU zugleich Flüchtlinge aus Libyen brutal zurückweist und ertrinken lässt. DIE LINKE schließt sich hier den Ärzten ohne Grenzen an, die vor einer Woche in einem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU schrieben: „Einerseits erheben die EU-Staaten den Anspruch, mit dem Eingreifen in den Krieg Zivilisten zu schützen. Andererseits schließen sie gleichzeitig die Grenzen für die Opfer dieses Krieges – unter dem Vorwand, einen massiven Zustrom illegaler Einwanderer verhindern zu müssen." Ihre vermeintliche Humanität hört spätestens an den EU-Aussengrenzen auf und ist an ihrem Umgang mit schutzsuchenden Menschen erkennbar. Statt immer nur zu Schießen sollten Bundesregierung und EU endlich anfangen tatsächlich zu helfen indem man Schutzsuchende aufnimmt.
Wie katastrophal die Folgen eines militärischen Einsatzes zur humanitären Hilfe sein können, hat sich Anfang der 1990er Jahre in Somalia gezeigt meine Damen und Herren. Das Scheitern dieses Konzeptes durch die UN-Mission UNOSOM und den US-Einsatz „Restore Hope" hat Folgen bis heute. Fast 9 Mio. Menschen am Horn von Afrika sind nach Angaben des World Food Programme (WFP) von Lebensmittellieferungen abhängig. Am 18. Mai warnten Hilfsorganisationen vor einer weiteren Verschärfung des Hungers in Somalia aufgrund ausbleibender Regenfälle und fehlender finanzieller Mittel. Etwa 53 Mio. US$ würden benötigt, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Doch was tut die EU? Sie finanziert aus den Mitteln des Europäischen Entwicklungsfonds einen sinnlosen Häuserkampf zwischen der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) und Milizen in Mogadischu, der jährlich 500 Mio. US$ verschlingt.
Und meine Damen und Herren,
das alles hat sehr viel mit der Mitteilung der Kommission zu europäischem Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe zu tun. Denn all diese Maßnahmen werden vom EAD koordiniert. Dieser soll zukünftig eine noch zentralere Rolle bei Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe spielen und – so die EU-Kommission – die „Kohärenz zwischen der Katastrophenabwehr einerseits und möglichen politischen und sicherheitspolitischen Elementen" verbessern. Der EAD hat aber den Zweck, das hat die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament am 10.3.2010 sehr deutlich gesagt, den europäischen Zugriff auf die weltweiten Rohstoffvorkommen und Absatzmärkte zu verbessern und gegen die aufstrebenden Schwellenländer zu verteidigen. Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe verkommen somit zum bloßen Instrument imperialer Machtpolitik. Die Begriffe „Schutz", „Hilfe" und „Humanität" verlieren damit, wie durch die in ihrem Namen durchgeführten bzw. anvisierten Regime-Changes in Côte d’Ivoire, immer weiter an Legitimität und Substanz. Schutzbedürftige werden von der Bundesregierung und der EU instrumentalisiert und fast schon könnte man argwöhnen, dass die deutschen und europäischen Außenpolitiker von CDU bis SPD und von Grüne bis FDP nur so auf die nächste Katastrophe warten, um unter dem Deckmantel des Katastrophenschutzes intervenieren zu können.
Im Sahel beispielsweise hat in den vergangenen Jahren eine Katastrophe die andere abgelöst. Dürren folgten heftige Regenfälle und hinterließen fast 10 Mio. Menschen abhängig von Lebensmittellieferungen. Auch wenn diese Wetterphänomene in dieser Region nicht neu sind, liegt ein Zusammenhang mit dem Klimawandel und damit auch mit unserer Lebens- und Wirtschaftsweise nahe. Wie reagierte hier die EU? Die Außenbeauftragte Ashton hat vor wenigen Wochen ihren Entwurf für eine Sahel-Strategie vorgelegt. Von den vorangegangenen Dürren ist hierin nicht die Rede, dafür umso mehr von Terrorismus und organisierter Kriminalität, die auch Pipelines und die Sicherheit der Bürger in der EU gefährden würden. Not und Hunger der Bevölkerung scheinen in diesem Papier nur soweit eine Rolle zu spielen, als sie den „Nährboden" für Terrorismus bereiten würden. Die Notwendigkeit von Hilfslieferungen wird hier nicht durch das Gebot der Menschlichkeit oder der Solidarität begründet, sondern dass hierdurch das Vertrauen in den Staat gestärkt und der Einfluss der Islamisten zurückgedrängt werden könnte. Meine Damen und Herren, das finde ich abscheulich, dies ist ein menschenverachtendes Dokument!
Im Kern geht es jedoch in dieser Sahel-Strategie darum, die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen den Sahelstaaten – allesamt keine Staaten, die man als Rechtsstaaten bezeichnen könnte – zu fördern und diese polizeilich und militärisch aufzurüsten. 700 Mio. Euro u.a. aus dem „Instrument für Stabilität" sind hierfür vorgesehen. Aus dem Europäischen Entwicklungsfonds sollen weitere Mittel mobilisiert werden: fast eine Milliarde Euro für Regierungen, die aus Militärputschen hervorgegangen sind und für deren Streitkräfte, welche die eigentliche Macht im Staate darstellen. Eine Nachricht, die sehr wohl verstanden wurde: Vergangene Woche haben die Außenminister Algeriens, Nigers, Malis und Mauretaniens in Bamako zugesagt, bis zu 75.000 Soldaten für den Krieg gegen den Terror bereitzustellen. Die Nachricht kam auch bei der jeweiligen Opposition an, die bereits eindringlich vor einer weiteren Militarisierung des Sahels warnt. Eine Milliarde Euro und 75.000 Soldaten gegen 300 mutmaßliche Al-Kaida-Kämpfer, das ist unglaubwürdig. Offensichtlich geht es hier um die militärische Stabilisierung autoritärer Regime. Finanziert werden soll diese aus denselben Töpfen, die in der Mitteilung der Kommission dem Katastrophenschutz und der humanitären Hilfe dienen sollen. Damit entlarvt sich endgültig, was hier unter Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe zu verstehen ist. DIE LINKE lehnt nach wie vor die Unterstützung von autoritären Regimen ab!
Im Gegensatz zu allen anderen hier vertretenen Fraktionen lehnt DIE LINKE das Konzept der Vernetzten Sicherheit, das den Vorschlägen der Kommission zugrunde liegt, ab. DIE LINKE ist ebenso gegen die Instrumentalisierung humanitärer Hilfe für sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen, wie gegen die zunehmende Militarisierung des Bevölkerungsschutzes innerhalb der EU, die beide untrennbar mit diesem Konzept verbunden sind. DIE LINKE ist für die strikte Trennung von militärischen und zivilen Kapazitäten und den konsequenten Abbau ersterer zugunsten letzterer. Nur durch den Ausbau rein ziviler und unabhängiger Kapazitäten des Bevölkerungsschutzes und deren möglichst Bevölkerungsnahe – das heißt kommunale und föderale – Kontrolle kann ihre Instrumentalisierung verhindert und ihre Effizienz gewährleistet werden. Denn der Schutz und die Hilfe für Menschen in Not ist kein Mittel zum Zweck, sondern reiner Selbstzweck – und so muss es auch bleiben.