Kein Mensch ist illegal!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Frau Köhler, ich kann es nicht lassen. Eines muss ich Ihnen sagen: Das Problem besteht doch nicht darin, dass man versucht, einen Rechtsbruch in einem Rechtsstaat
(Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Nicht?)
Nein, darum geht es nicht. Es geht darum, dass man in einem Verfassungsstaat, der sich wie die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat definiert, Menschenrechte für jeden geltend macht. Es geht nicht darum, sozusagen klandestin sich aufhaltenden Menschen irgendwelche Möglichkeiten einzuräumen. Es geht darum, dass wir in Deutschland unseren Pflichten nachkommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie sprechen in den Debatten über Illegalität immer von illegalen Menschen. Ich muss für meine Fraktion klarstellen: Es gibt keine Menschen, die illegal sind. Es gibt nur Menschen, die illegalisiert werden, wie von Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist aber nicht das Hauptproblem!)
In Debatten über Illegalisierte wird immer gesagt, dass es eine Pflicht des Staates gebe, illegale Einwanderung oder den illegalen Aufenthalt zu bekämpfen. So eine Verpflichtung gibt es nicht. Was es allerdings gibt, sind Verpflichtungen, die sich aus dem Grundgesetz ergeben, zum Beispiel die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Menschenwürde zu achten, sie zu schützen und sich zu den unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft zu bekennen. Das ergibt sich aus Art. 1 Grundgesetz. Es gibt die Verpflichtung des Staates, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf körperliche Unversehrtheit als absolut geltende Rechte aller Menschen zu schützen. Das ergibt sich aus Art. 2 Grundgesetz. Es gibt auch noch Art. 20 Grundgesetz, in dem erklärt wird, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist und eben kein Staat, der sich gegen Flüchtlinge abschottet, die aus anderen Teilen der Welt hierherkommen wollen.
Ich war in dieser Woche mit dem Kollegen Tören von der FDP bei „Ärzte der Welt", die zu einer Tagung zu genau diesem Thema eingeladen haben. Ich hätte mich gefreut, wenn die CDU oder die CSU eine Vertreterin oder einen Vertreter geschickt hätte. Wenn Sie mit den Menschen dort gesprochen hätten, hätten Sie verstanden, dass es um Folgendes geht: Diese Menschen müssen befürchten, festgenommen, inhaftiert und abgeschoben zu werden, wenn sie die Umsetzung eines ihrer unveräußerlichen Menschenrechte in Anspruch nehmen. Zu diesen Menschenrechten gehören zum Beispiel das Recht auf Schulbildung, das Recht auf ein Privatleben, das Recht auf medizinische Versorgung und das Recht auf eine gerechte Entlohnung für ihre Arbeit sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Frau Köhler, die engstirnige, bürokratische Verweigerungshaltung muss aufgegeben werden, nach der Betroffenen nicht geholfen werden könne oder dürfe, weil ihr Aufenthalt auf einem Rechtsbruch basiere
(Beifall bei der LINKEN)
und der Aufenthalt deswegen nicht durch Legalisierung oder auch nur durch die Gewährung des Zugangs zu Bildung oder medizinischer Versorgung in Deutschland belohnt werden dürfe.
Bei der Debatte über illegalisierte Menschen in Deutschland geht es aber eigentlich um die Abschottungspolitik und die restriktive Migrationspolitik in Deutschland und Europa. In den letzten Jahren ist vor allen Dingen der ehemalige Bundesinnenminister Schäuble auf europäischer Ebene mit Verve dafür eingetreten, dass Spanien, Frankreich, Portugal und andere Länder damit aufhören, solchen Menschen einen Zugang zu Menschenrechten zu gewähren. Das halte ich für einen Skandal.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der sogenannte illegale Aufenthalt von schätzungsweise einer halben Million bis 1,5 Millionen Menschen in Deutschland ist in erster Linie Folge dieser restriktiven Flüchtlings- und Migrationspolitik, einer Politik, die in den letzten Jahren bedauerlicherweise auch das muss ich hinzufügen, Herr Veit von der SPD getragen wurde. Solange ungleichgewichtige soziale, ökonomische und gewaltsame Verhältnisse in der Welt existieren und Nationalstaatsgrenzen sich zwischen Menschen schieben, wird es Migration geben, wenn nicht mit, dann eben ohne behördliche Erlaubnis.
In diesem Zusammenhang möchte ich aus Die Nacht von Lissabon von Erich Maria Remarque zitieren:
"Die Küste Portugals war die letzte Zuflucht geworden für die Flüchtlinge, denen Gerechtigkeit, Freiheit und Toleranz mehr bedeuteten als Heimat und Existenz. Wer von hier das gelobte Land Amerika nicht erreichen konnte, war verloren. Er musste verbluten im Gestrüpp der verweigerten Ein- und Ausreisevisa, der unerreichbaren Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen, der Internierungslager, der Bürokratie, der Einsamkeit, der Fremde und der entsetzlichen allgemeinen Gleichgültigkeit gegen das Schicksal des einzelnen, die stets die Folge von Krieg, Angst und Not ist.
Der Mensch war um diese Zeit nichts mehr; ein gültiger Pass alles."
Wir müssen uns an unsere Geschichte erinnern. Kein Mensch ist illegal. Deshalb unterstützen wir den Gesetzentwurf, gehen aber in unseren Forderungen weiter, weil wir der Auffassung sind, dass wir eine humanitäre Flüchtlingspolitik brauchen, um die Ursache des Problems zu bekämpfen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))