Kein Strategiewechsel, sondern Eskalation

Von Sevim Dagdelen*

Das Ergebnis der internationalen Afghanistankonferenz, die letzte Woche in London stattfand, lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Die Bundeswehr übernimmt die US-amerikanische Strategie der Aufstandsbekämpfung. Deutsche Soldaten sollen zukünftig die Feldlager öfter verlassen, "mehr Präsenz in der Fläche" zeigen und die "Nähe zu der afghanischen Bevölkerung" suchen. Bereits zuvor hatte der Oberkommandierende der Besatzungstruppen in Afghanistan, General Stanley McChrystal, von der Bundeswehr "mehr Engagement und Risikobereitschaft" gefordert. Um die Bundeswehr hierbei zu ermutigen, schicken die USA nun 5 000 weitere Soldaten ins deutsche Einsatzgebiet bei Kundus. Gemeinsam mit den zusätzlichen 850 deutschen Soldaten, die nach Afghanistan entsandt werden, sollen diese ein Debakel wie nach der Operation Adler im Juli vergangenen Jahres verhindern. Die Aufständischen hatten zuvor die Gebiete um Kundus unter ihre Kontrolle gebracht und die Bundeswehr häufig in unmittelbarer Umgebung ihres Feldlagers angegriffen. Gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften gingen die deutschen Soldaten in die Offensive, griffen die Aufständischen mit schweren Waffen an. Ein Einsatz, wie es ihn in der Geschichte der Bundeswehr noch nicht gab und der auch eigentlich nicht mit dem Mandat der ISAF-"Schutztruppe" zu vereinbaren ist. Tatsächlich vertrieben sie die Aufständischen mit der Offensive, doch dann zogen sich die deutschen Soldaten ins Feldlager zurück und übergaben die Verantwortung an die afghanischen "Sicherheitskräfte", die sie zuvor ausgebildet hatten. Diese konnten und wollten jedoch nicht verhindern, dass die Aufständischen bereits nach wenigen Tagen wieder die Kontrolle übernahmen.

Zukünftig soll die Bundeswehr gemeinsam mit ihren afghanischen Söldnern dauerhaft an wichtigen Punkten präsent sein und diese zu "beherzterem" Eingreifen motivieren. Der deutschen Öffentlichkeit wird dies als "Partnering" bei der Ausbildung und "Afghanisierung" des Krieges verkauft. Der Kommandeur der deutschen Afghanistan-Truppen, Brigadegeneral Frank Leidenberger, kündigte bereits an, dass es zukünftig mehr Gefechte mit deutscher Beteiligung geben wird und das bedeutet auch mehr Tote und Verwundete auf beiden Seiten. In den Provinzen, in denen die USA die Verantwortung haben, wird diese Strategie bereits seit Jahren angewandt und dort fallen nahezu täglich GIs. Von dem nach der Afghanistankonferenz großartig verkündeten "Strategiewechsel" kann also keine Rede sein. Weiterhin ist völlig unklar, was die NATO und ihre Verbündeten — außer dem Erhalt des Bündnisses — in Afghanistan überhaupt erreichen wollen. Deshalb muss die internationale Besetzung Afghanistans, die den Bürgerkrieg perpetuiert, schnellstmöglich beendet werden. Ein sofortiger Abzug der Bundeswehr könnte dieses Ende der Besatzung einleiten.

*Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linksfraktion