Kein Versagen
Die Nebenklägeranwälte im NSU-Verfahren üben scharfe Kritik am Abschlußbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur rechten Terrorgruppe. Das »entscheidende Problem« werde nämlich »nicht benannt«: »institutioneller Rassismus.« Die Vertreter der Opfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds« haben recht. Der Kern des Problems wird nicht analysiert. Wer aber von einer falschen Analyse ausgeht, gelangt auch nur selten zu den richtigen Schlußfolgerungen. CDU-Obmann Binninger lobt denn auch den parteiübergreifenden Konsens und will, daß künftig bei den Ermittlungsbehörden »der Umgang mit der Verbrechensserie Eingang in die Aus- und Fortbildung findet«. Passend dazu geht der Untersuchungsausschuß von einem »Staatsversagen« als Grund für die fortgesetzte NSU-Terrorserie aus.
Staatsversagen? Man meint, man hört nicht richtig. War also alles nur eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen? Dies scheint mir wenig glaubwürdig. 50000 DM soll allein V-Mann Carsten Szczepanski alias »Piato« in den sechs Jahren (1994–2000) seiner Tätigkeit für das Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg kassiert haben. Szczepanski war wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer verurteilt worden, erhielt als V-Mann aber Hafterleichterung und wurde vorzeitig entlassen, nachdem er ein Praktikum absolviert und eine Festanstellung in Aussicht hatte. Besagtes Praktikum fand in einem Naziszeneladen in Sachsen statt und wurde offenbar vom Verfassungsschutz vermittelt. Die Inhaberin des Ladens wiederum hatte dem NSU-Mitglied Beate Zschäpe zu einer falschen Identität im Untergrund verholfen. Das Opfer von Szczepanski, Steve Erenhi, wartete im Jahr 2000 immer noch auf die im zugesprochenen 50000 DM Schmerzensgeld, die ihm vom Gericht zugesprochen worden waren …
Kann man hier von Staatsversagen sprechen? Oder springt einen nicht aus zahlreichen Akten eine beispiellose Kumpanei von Sicherheitsbehörden und NSU-Terroristen förmlich an. Aber man war ja offenbar nicht einmal bereit zuzugestehen, daß das systematische Versagen der Ermittlungsbehörden auf institutionellem Rassismus beruhte, geschweige denn, daß es ein staatlich be- und geförderter Rechtsterrorismus war.
Die Anwälte der NSU-Opfer fordern eine Neueinsetzung des Untersuchungsausschusses in der nächsten Legislaturperiode. Das halte ich für stimmig, denn wie sie feststellen, ist eine lückenlose Aufklärung der Taten des NSU und der möglichen Verwicklungen der staatlichen Behörden lange nicht abgeschlossen. Migrantenorganisationen hatten vermutet, daß der Bundestagsausschuß nicht wirklich Aufklärung leisten und verbindlich Konsequenzen fordern würde, und früh eine internationale Untersuchungskommission gefordert. Dies ist nach der Vorlage des Berichts aktueller denn je.
Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Migration und Integration in der Bundestagsfraktion Die Linke und Vizevorsitzende der Deutsch-Türkischen-Parlamentariergruppe des Bundestages