Keine Bücklinge am Bosporus!
Letzte Hoffnung Ankara. Ausgerechnet die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan soll für Bundeskanzlerin Angela Merkel die „Flüchtlingskrise“ lösen. Die deutsche Regierungschefin hat gegen die Grenzschließung auf der sogenannten Balkanroute nichts einzuwenden. Zäune, Mauern, Tränengas an der deutschen Grenze sind nicht ihre Sache. Aber dies reicht nicht. Die Flüchtlingsabwehr soll dort verlaufen, wo es keiner sieht. Auf Hoher See, im Mittelmeer. Ein NATO-Flottenverband soll die Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei kontrollieren, Flüchtlinge in ihren Schlauchbooten abfangen und „rückführen“. Kein Unmut, kein Protest, keine Tränen mehr – und keine Reporter und Kameras, die den vor Krieg, Verfolgung und Armut Geflüchteten Namen und Gesicht geben.
Das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl wird von CDU, CSU und SPD willentlich im Mittelmeer versenkt. Und die Bundesregierung pfeift auf andere westliche Werte, die sonst doch so hoch gehalten werden. Pressefreiheit, das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit: Zwar sind auf Weisung des türkischen Verfassungsgerichts der Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und sein Kollege Erdem Gül Ende Februar nach drei Monaten Untersuchungshaft wieder auf freien Fuß gekommen, doch die Anklage gegen die beiden wurde nicht fallen gelassen. Staatspräsident Erdogan hat persönlich hat öffentlich bekundet, dass er die Entscheidung der Verfassungsrichter nicht anerkennt. Er will nichts unversucht lassen, damit das zuständige Strafgericht Dündar und Gül wegen Spionage und Umsturzversuch verurteilt. Wohlgemerkt, die Journalisten sollen ins Gefängnis, weil sie ihre Arbeit gemacht und über türkische Waffenlieferungen an die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien berichtet haben.
Nicht viel anders ergeht es Wissenschaftlern, die die Regierung in Ankara kritisieren. Mehr als 1200 türkische Akademiker hatten im Januar eine Petition unterzeichnet und darin die Staatsführung aufgefordert, die von den Sicherheitskräften verübten „vorsätzlichen Massaker und Deportationen kurdischer und anderer Menschen“ in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei zu beenden. Präsident Erdogan warf ihnen daraufhin Verrat und Komplizenschaft mit den „Terroristen“ der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor.
Merkels Hoffnungsträger am Bosporus, Recep Tayyip Erdogan und seine AKP-Regierung, gehören im Syrien-Konflikt zu den Fluchtverursachern. Die türkische Armee bombardiert Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG, die gegen den IS und andere islamistischen Terrorgruppen kämpfen. Statt dass der Nachschub für die Dschihadisten aus dem Nato-Land Türkei gestoppt wird, lässt Erdogan die Grenzen zu Syrien für Flüchtlinge schließen – und verletzte IS-Kämpfer in Krankenhäusern für den nächsten Einsatz gesundpflegen. Von Beginn an hat Ankara den Krieg im Nachbarland befeuert und trägt als Terrorpate Mitverantwortung dafür, dass Hunderttausende getötet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht wurden.
Damit nicht genug. Erdogan hat den Südosten seines Landes in ein Kriegsgebiet verwandelt. Seit Monaten sind ganze Städte mit Ausgangssperren belegt. Die Bevölkerung wird von Militär und Polizei belagert und mit Panzern und Artillerie beschossen. Mehr als 200.000 Kurden haben ihre Häuser und Städte mittlerweile verlassen. Berichten zufolge versuchen die ersten Familien, über den lebensgefährlichen Seeweg nach Griechenland zu kommen.
Diese Türkei zum „sicheren Herkunftsland“ oder „sicheren Drittstaat“ zu erklären, wie es die Bundesregierung zu tun gewillt ist, zeugt von absoluter Ignoranz und Menschenverachtung. Das perfide Ziel der Bundesregierung, die Türkei als Bollwerk gegen Schutzsuchende einzusetzen und im Gegenzug zu den Verbrechen des Erdogan-Regimes zu schweigen, darf nicht aufgehen.
Will die EU einen Funken an Glaubwürdigkeit bewahren, müssen die Finanzhilfen an die Türkei und der damit zusammenhängende „Aktionsplan“ zur Flüchtlingsabwehr zurückgenommen werden. Die drei Milliarden Euro, die im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens zur Flüchtlingsabwehr vorgesehen sind, sind beim UNHCR und dem Welternährungsprogramm besser aufgehoben, um die Lage der Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei und der Region zu verbessern.
Es ist ein Hohn, wenn die Führung eines Landes mit der zweitgrößten Armee aller Nato-Mitglieder behauptet, rund 100 Kilometer Grenze zu den vom IS gehaltenen Gebieten in Syrien nicht effektiv kontrollieren zu können. Bundesregierung und EU müssen die Kollaboration Erdogans mit den Gotteskriegern offen thematisieren und ihn als Fluchtverursacher benennen statt ihn mit immer neuen Morgengaben zu beglücken.
Ein erster Schritt in die Richtung wäre die Einstellung aller Waffenexporte an die Türkei. Damit erhielte Ankara ein klares Zeichen, dass man nicht gewillt ist, den Krieg gegen die Kurden nicht auch noch mit Kriegsgerät „Made in Germany“ zu unterstützen.
Erdogan ist kein verlässlicher Partner, sorgt er doch verlässlich für immer neue Flüchtlinge. Es muss um politische Lösungen gehen. Dazu braucht es Zeit, Geld und Rückgrat. Es braucht Milliardenhilfen für die Flüchtlinge. Weitere Bücklinge gen Ankara führen zum Gegenteil. Bereits jetzt stellt Erdogan immer neue Forderungen und möchte die Nato-Staaten gern an seinem Kriegsroulette in Syrien beteiligen. Wer die deutsche Außenpolitik in die Hände von Erdogan legt, muss sich nicht wundern, wenn der türkische Staatspräsident dies als Ermunterung versteht neue Kriege in der Region vom Zaun zu brechen, in deren Folge dann noch mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen.
Quelle: Tagesspiegel Causa