Keine Unterstützung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
"Keine Unterstützung für die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara" (BT-Drs. 17/4271) und Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Menschenrechtslage in Westsahara (BT-Drs. 17/4440)
Ein von der Welt verdrängter Konflikt ist neu entflammt. In der Westsahara. Dort, wo seit 35 Jahren Marokko völkerrechtswidrig als Besatzungsmacht regiert.
Der Konflikt begann bereits mit der Berliner Afrikakonferenz (sog. Kongokonferenz) 1884–1885 in Berlin, als die Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten. Spanien wurde die Westsahara zugesprochen. Nachdem die UNO-Generalversammlung von Spanien ab 1965 wiederholt in Resolutionen die Dekolonialisierung der Westsahara verlangte, zog die spanische Kolonialmacht 1975 ab. Doch eine Dekolonisation scheiterte, da Marokko und Mauretanien die Westsahra militärisch besetzten. Nachdem sich Mauretanien 1979 zurückgezogen hatte, besetzte Marokko das gesamte Territorium und erklärte 1976 die Annexion des Territoriums. Seitdem wurden hunderttausende Sahrauis aus ihrer Heimat vertrieben. Sie leben in Flüchtlingslagern in Algerien, oft getrennt von ihren Familienangehörigen, die zurückblieben. Diejenigen, die nicht vertrieben wurden oder geflohen sind, müssen abgeriegelt hinter einem 2700 Kilometer langen elektronisch gesicherten und verminten Wall leben. Sie sind den alltäglichen Schikanen und Diskriminierungen der marokkanischen Polizei und Besatzungsbehörden ausgesetzt. Regelmäßig kommt es zu willkürlichen Inhaftierungen und Anklagen. Hinsichtlich Inhaftierten berichtet Amnesty International über Folter. Prozesse insbesondere gegen Sahrauis, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara aussprechen, halten laut zahlreichen Menschenrechtsorganisationen nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren stand.
Sowohl der Hungerstreik der Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar im November/Dezember 2009 aber auch der Protest von ca. 20.000 Sahrauis im Oktober 2010 in dem „Camp der Würde" drängte den letzten Kolonialkonflikt in Afrika in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Diese protestierten friedlich gegen ihre soziale Benachteiligung, gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen durch die marokkanischen Sicherheitsbehörden und die Besetzung. Am Morgen des 8. November 2010 räumten marokkanische Sicherheitskräfte gewaltsam das Protestcamp in der Wüste vor den Toren der Stadt El-Aaiún. Dabei starben nach sahrauischen Angaben 12 Menschen, Marokko spricht von zwei getöteten Polizisten und einem Feuerwehrmann. Mehrere Hundert Demonstranten wurden schwer verletzt. Das Camp wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Zelte in Brand gesteckt. Dabei haben diese Menschen zu Recht gegen die völkerrechtswidrige Besetzung der Westsahara durch Marokko, gegen die illegale Plünderung ihrer Naturschätze sowie gegen ihre Diskriminierung protestiert.
Das alles passierte und passiert in unmittelbarer Nachbarschaft der EU, unweit von beliebten Reisezielen auch deutscher Touristinnen und Touristen wie den Kanarischen Inseln. Und die Bundesregierung schweigt. Aber schweigt nicht nur und schaut nicht einfach nur weg. Nein! Die Bundesregierung belohnt auch noch Marokko dafür, dass sie durch die Besatzung Völkerrecht bricht und sich kontinuierlich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig macht. Sie lässt die sahrauische Bevölkerung für die schmutzigen Dienste Marokkos bei der vermeintlichen Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Flüchtlingsabwehr bezahlen.
DIE LINKE sagt Ihnen auch, wie die Bundesregierung Marokko belohnt.
Die Bundesregierung belohnt Marokko, in dem sie seit 1966 militärische Ausbildungshilfe für die marokkanischen Streitkräfte leistet, obwohl sie an der völkerrechtswidrigen Besatzung der Westsahara beteiligt sind. Mehrere marokkanische Offiziere haben Lehrgänge an Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr und Studiengänge an den Hochschulen der Bundeswehr absolviert.
Die Bundesregierung belohnt zusammen mit der EU Marokko durch Ausrüstungs- und Ausstattungshilfen für marokkanische Polizei- und Gendarmeriekräfte. Also genau jene, die auch an der Räumung des „Camps der Würde" und den Gewalttaten gegen die sahrauische Bevölkerung beteiligt waren und sind.
Die Bundesregierung belohnt Marokko auch, in dem sie die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes zugunsten der Opfer des Westsahara-Konfliktes 2007 eingestellt hat. Nicht einmal mehr die zuletzt 2006 gezahlten 100.000 Euro wollte die alte Bundesregierung mehr für die Opfer aufbringen. Auch die Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die sahrauischen Flüchtlinge im Rahmen der Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe wurde bereits 2007 eingestellt.
Und auch die EU belohnt Marokko (mit wohlwollender Zustimmung der Bundesregierung), seit Jahren in der EU-Nachbarschaftspolitik mit einem hervorgehobenen Status. Marokko erhielt in diesem Rahmen eine Milliarde Euro allein zwischen 2007 und 2010.
Die Bundesregierung belohnt Marokko für seine völkerrechtswidrige Besatzungspolitik und die kontinuierlichen Menschenrechtsverletzungen auch im Rahmen der Flüchtlingsabwehr mit der Unterstützung für eine Verlängerung des EU-Fischereiabkommens. Und das trotz der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Fischereiabkommens durch den UN-Rechtsberater Hans Corell in 2002. Damit missachten Bundesregierung und EU die unveräußerlichen Rechte der „Völker der Gebiete ohne Selbstregierung" auf ihre natürlichen Ressourcen. Das meint auch der Juristische Dienst des Europaparlaments. Dieser vertritt die Rechtsauffassung, dass der Fischfang im Rahmen eines partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko, weder in Konsultation mit der sahrauischen Bevölkerung der Westsahara stattfindet noch die Bevölkerung die Einnahmen aus der Verwertung ihrer eigenen reichen Fischbestände erhält. Folglich ist das Abkommen völkerrechtswidrig.
Alle diese erwähnten Belohnungen waren nicht umsonst und sollen es natürlich auch in Zukunft nicht sein. Die reichen Fischgründe vor den Küsten und die großen Phosphatvorkommen im Inland der Westsahara sollen weiter quasi zum Nulltarif europäischen Fischfangflotten und internationalen Konzernen preisgegeben werden. Auch der nationale Energieplan Marokkos, der mithilfe der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) erstellt wurde und ganz selbstverständlich Standorte in der Westsahara mit einschließt, soll deutschen Profitinteressen dienen. Er sieht die Einführung und Privatisierung erneuerbarer Energien durch gewaltige Windparks und Solaranlagen vor, die als Vorstufe des DESERTEC-Projektes gelten. Der Plan des von deutschen Großunternehmen wie z.B. Münchener Rück, Siemens, Eon, RWE und Deutsche Bank dominierten und von der Bundesregierung unterstützten Projekts besteht darin, bis 2050 15–20 Prozent der in Europa verbrauchten Energie aus solchen Großanlagen in Nordafrika zu beziehen. Ohne Befragung und Hinzuziehung der Sahauris oder deren Interessenvertretungen bei den Planungen. DIE LINKE lehnt das Projekt DESERTEC ab. Dieses Projekt wirft neben umweltpolitischen vor allem außenpolitische, menschenrechtlich und entwicklungspolitische Fragen auf, die auch mit der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara zusammenhängen.
Die Bundesregierung darf nicht weiter die sahrauische Bevölkerung für die schmutzigen Dienste Marokkos bei der vermeintlichen Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der Flüchtlingsabwehr und den Profitinteressen der deutschen Wirtschaft opfern. Sie muss endlich die permanenten Rechtsverletzungen der marokkanischen Regierung deutlich öffentlich verurteilen und Konsequenzen ziehen. Sie darf Marokko nicht weiter darin bestärken, ungehindert das seit über 20 Jahren fällige Referendum über den Status der Westsahara und damit das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung, das ihnen im Zuge der Dekolonisation zusteht, sabotieren zu können.
Ich sage Ihnen, welche Konsequenzen die DIE LINKE fordert:
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass Marokko endlich die Resolution 690 des UN-Sicherheitsrat vom 29. April 1991 umsetzt und das Referendum über die Zukunft der Westsahara unter UN-Aufsicht nicht weiter blockiert.
DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, die gewaltsame Auflösung des Protestcamps Anfang November 2010 und die Niederschlagung der anschließenden Demonstrationen zu verurteilen und eine internationale Untersuchung der Vorfälle einzufordern.
Jegliche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für marokkanische Polizei- und Armeekräfte ist einzustellen.
Wir fordern, dass sich die Bundesregierung innerhalb der EU endlich energisch dafür einsetzt, dass das Assoziationsabkommen der EU mit Marokko sowie der fortgeschrittene Status der Beziehungen zur EU zumindest solange ausgesetzt werden, bis Marokko seine völkerrechtswidrige Besatzung beendet hat.
Die Bundesregierung wird von uns aufgefordert, sich in der EU dafür einzusetzen, dass das EU-Fischereiabkommen bis zum 27. Februar 2011 gekündigt wird, damit es sich nicht automatisch verlängert. Eine automatische Verlängerung des Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko muss solange verhindert werden, wie die Westsahara nicht eindeutig vom Vertrag ausgeschlossen ist.
DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, insbesondere im Lichte der aktuellen Ereignisse in Tunesien und Ägypten, ihre Unterstützung gegenüber autoritären Regimen zu beenden und ihre Außenpolitik auf Rechts- und Sozialstaatlichkeit sowie auf das Völkerrecht zu orientieren.