„Klare Reisewarnung für die Türkei“

Die außenpolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen, hat von der Bundesregierung eine klare Reisewarnung für die Türkei gefordert. Dagdelen verwies im SWR-Tagesgespräch auf den Fall eines deutschen Urlaubers, der in der Türkei wegen Präsidentenbeleidigung in den sozialen Netzwerken festgenommen worden sei. Von Reisen in die Türkei rät Dagdelen momentan ab. Niemand sei sicher in Erdogans Türkei. Wer dort hinreise, laufe Gefahr, zur nächsten politischen Geisel Erdogans zu werden. Hier reichten die verschärften Reisehinweise des Auswärtigen Amts nicht aus. Nur eine klare Reisewarnung ermögliche es auch dem Reisenden, seinen Urlaub kostenfrei zu stornieren, so Dagdelen im SWR. Moralisch müsse jeder Reisende aber selbst entscheiden, ob er in die Türkei reise. Er müsse aber wissen, dass er mit seinem Geld ein Regime unterstütze, das die Kurden im Land und Andersdenkende unterdrücke und bekämpfe.
Quelle: SWR2
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Lechler: Kollegen des WDR haben am Wochenende berichtet von Einreiseverboten für Deutsch-Türken in die Türkei. Also ohne stichhaltige Begründung werden Reisende in Abschiebehaft genommen und nach drei Tagen nach Deutschland zurückgeschickt. Würden Sie Deutsch-Türken oder Türken, die in Deutschland leben, momentan von einer Reise in ihre Heimat abraten?
Dagdelen: Das muss jeder für sich entscheiden. Aber ich finde, was ich auf jeden Fall raten kann ist, dass die Bundesregierung hier agiert, nämlich umgehend eine Reisewarnung für das Land am Bosporus auszusprechen. Weil die Verhaftung eines Urlaubers aus Nordrhein-Westfalen beispielsweise, der seit 40 Jahren in Wuppertal lebt und bei der Einreise in die Türkei wegen Präsidentenbeleidigung in sozialen Medien jetzt festgenommen worden ist, und jetzt an der Ausreise auch gehindert wird, zeigt, wie akut das Problem ist. Deshalb denke ich, braucht es eine klare Ansage an die Bevölkerung seitens der Bundesregierung, ob Deutsche, Deutschtürken und Türken, niemand ist sicher in Erdogans Türkei. Wer dort hinreist, läuft Gefahr, zur nächsten politischen Geisel des türkischen Staatspräsidenten Erdogan zu werden und Urlauber dürfen meiner Meinung nach nicht auf sich alleine gestellt werden. Die Bundesregierung muss die Sicherheit der in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürgern mindestens so ernst nehmen, wie die Profit- und Renditeinteressen der deutschen Konzerne. Weil, das waren bisher nur verbale Ankündigungen und es war nur eine Verschärfung der Reisehinweise, was natürlich billig ist. Ich finde, da muss eine richtige Reiswarnung her, weil nur mit einer Reisewarnung in ein bestimmtes Land werden die Bürgerinnen und Bürger bei der Stornierung ihrer Buchungen nicht alleine gelassen, sondern können auch kostenlos stornieren.
Lechler: Aber der Reisehinweis für die Türkei der wurde ja jetzt überarbeitet. Das reicht Ihnen nicht aus und Sie meinen auch, in Side kann man nicht wunderbar am Strand liegen und Urlaub machen?
Dagdelen: Ich finde, moralisch muss es der Bürger selbst entscheiden, ob er der Auffassung ist, in ein Land zu reisen und damit auch Devisen einzubringen, womit auch ein Krieg gegen die Kurden im eigenen Land, in Südosten des Landes, finanziert wird. Ober beispielsweise durch die Außenpolitik des türkischen Staatspräsidenten nachgewiesenermaßen auch deutsche Sicherheitsbehörden seit Jahren sagen, islamistische Terrorbanden in Syrien, ausgerüstet, bewaffnet werden, unterstützt werden oder beispielsweise eben die Repression gegenüber Andersdenkenden zu vertreten ist. Was aber nicht geht ist, dass die Bunderegierung sich einen schlanken Fuß macht, in dem sie einfach eine Verschärfung der Reisehinweise beschließt, statt tatsächlich eine Reisewarnung auszusprechen, damit die Menschen, die gebucht haben, tatsächlich kostenlos stornieren können. Weil alles andere hilft ihnen ja nicht.
Lechler: Herr Gabriel hat ja eine Kehrtwende oder eine Neuausrichtung der Türkei-Politik angekündigt. Aber glauben Sie nicht, dass da diplomatisch jetzt sehr viel hinter verschlossenen Türen läuft, weil Diplomatie ist ja oft das “Bohren dicker Bretter“. Es geht ja um die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Yücel und der Journalistin Mesale Tolu. Vielleicht sind ja leisere Töne angesagter?
Dagdelen: Na die Beschwichtigungspolitik ist ja gescheitert. Seit Jahrzehnten und besonders in den letzten Jahren trotz mehrmaliger Provokationen, wie beispielsweise keine Besuchserlaubnis für Bundestagsabgeordnete bei Bundeswehrsoldaten, die in der Türkei stationiert sind oder eben auch den ganzen verbalen Attacken gegenüber Bundestagsabgeordneten, weil sie einer Armenien-Resolution des Bundestages zugestimmt haben oder den unsäglichen Nazi-Vergleichen und vielem anderen mehr, haben wir gesehen, dass diese Beschwichtigungspolitik eben gescheitert ist, weil Staatspräsident Erdogan ist ein Meister der Eskalation und er eskaliert weiter. Und er versteht nur die Sprache von harten Maßnahmen. Und deshalb ist die Kurskorrektur, die angekündigt worden ist, richtig und auch lange überfällig. Allerdings macht der Zeitpunkt der Wende wenige Wochen vor der Bundestagswahl natürlich doch stutzig, vor allen Dingen, wenn man schaut, dass sich das offensichtlich doch leider immer mehr als Wahlkampfschlager vor allem der SPD sich erweist. Und da möchte ich nur zwei Beispiele geben, warum das schiefläuft mit dieser verbalen Neuausrichtung der Türkei-Politik. Beispiel, 630 Millionen Vorbeitrittshilfen im Jahr erhält die Türkei und statt die Initiative zum Stopp der Beitrittsverhandlungen im EU-Rat zu ergreifen, denn allein mit einem Stopp der Beitrittsverhandlungen wären auch diese Zahlungen rechtlich einwandfrei zu stoppen. Also statt diese Initiative zu ergreifen, schreibt Herr Bundesaußenminister Gabriel einen Brief an die EU-Außenbeauftragte mit der Bitte um einen Prüfauftrag. Ich finde, da muss man den Kopf schütteln und sagen, das ist halt nicht seriös. Aber die Rüstungsexporte…
Lechler: Aber, wenn diese 630 Millionen nicht mehr schließen würden, da würden ja wieder nur die Bevölkerung getroffen werden. Erdogan würde da ja nicht getroffen werden.
Dagdelen: Nee, die 630 Millionen Euro fließen an das Regime Erdogan, nicht an die Bevölkerung. Vor allem nicht an die Andersdenkenden, die da eingekerkert werden ständig in den Foltergefängnissen und deshalb sage ich, es darf nicht sein, dass wir auch noch den Abbau einer Demokratie in der Türkei durch einen islamistischen Präsidenten auch noch mit finanzieren. Aber ein anderes Beispiel kann ich Ihnen auch nennen. Die Bundesregierung schaut zu, wie der deutschen Rüstungskonzern in Düsseldorf, Rheinmetall, der Türkei beim Aufbau einer eigenen Panzerfabrik unter die Arme greift. Und alle Möglichkeiten, hier den Einfluss geltend zu machen, um diese Aktivitäten von Rheinmetall auf Eis zu legen, werden nicht genutzt. Und deshalb ist mein Fazit, eine Neuausrichtung der Türkei-Politik sieht jedenfalls anders aus. Und ich fürchte, Herrn Gabriel geht es tatsächlich nur um einen Wahlkampf gegenüber der deutschen Öffentlichkeit und das ist natürlich schlimm, weil die Leidtragenden sind die inhaftierten Deutschen, die nicht zuletzt Opfer der jahrelangen Beschwichtigungs-Politik der Bundesregierung sind, aber natürlich auch die Opposition insgesamt in der Türkei, weil hier nicht tatsächlich etwas getan wird, um einen Kurswechsel einzuleiten.